Bis
1945:
Die hier vorgestellte Anlage trug die offizielle Bezeichnung Luft-Munitionsanstalt
4/VI Stapelburg. Die römische Ziffer steht für das Luftgaukommando VI,
welches im westfälischen Münster beheimatet war. Der größte Teil Niedersachsens
gehörte zum Luftgau XI. Am Südrand befanden sich jedoch einige Objekte
zugehörig zum Luftgau VI.
Der
namensgebende Ort Stapelburg liegt in Sachsen-Anhalt. Heute muß man auf
die Beschilderung achten, um zu erkennen wo die Grenze der Bundesländer
überschritten wird. In den Jahrzehnten des Kalten Krieges verlief an
gleicher Stelle der „Eiserne Vorhang“, welcher die DDR von der Bundesrepublik
trennte. Ein Grenzübertritt war hier zu der Zeit nicht möglich.
Die Luft-Munitionsanstalt Stapelburg befand sich jedoch vollständig auf
dem Gebiet von Niedersachsen, unmittelbar westlich der „Mauer“. Die Dienststelle
hatte ihre Heimat im Staatsforst des Unteren Schimmerwaldes, wenige hundert
Meter nördlich der kleinen Siedlung Eckertal. Für das Objekt waren daher
auch die Bezeichnungen Muna Schimmerwald bzw. Muna Eckertal gebräuchlich.
Die Reichsbahnstrecke von Bad Harzburg nach Wernigerode führte unmittelbar
an dem Gelände vorbei. Für eine Munitionsanstalt waren mit der seinerzeit
für Bau und Betrieb unbedingt benötigten Eisenbahn und dem dichtbestandenen
Wald die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt.
Ende 1935 begannen die Arbeiten zum Aufbau der Muna. Sie sollte
Bomben und Munition für den Bedarf der Luftwaffe bereitstellen. Die Auslegung
der Anlage läßt erkennen, daß zunächst der östliche Teil der Liegenschaft
bebaut wurde, und später eine Erweiterung Richtung Westen erfolgte.
Hinter der Haupteinfahrt entstand in der Südost-Ecke der Verwaltungsbereich
mit Wache, Kommandantur und Unterkünften. Nördlich anschließend folgte
der Betriebsbereich mit Werkstätten, Versorgungseinrichtungen und Garagen.
Die meisten Bauten waren eingeschossig ausgeführt. Lediglich die Kommandantur
hatte zwei Geschosse. Bei dieser fällt auf, daß sie in den Grundzügen
weitgehend baugleich mit der erhaltenen Kommandantur in der Muna
Harpstedt und der abgerissenen in der Muna Damme ist. Dieses Beispiel läßt die Errichtung von standardisierten Bauwerken erkennen.
Da die Anstalten weitgehend gleiche Aufgaben hatten, war diese Vorgehensweise
sinnvoll. Es sind aber stets Abwandlungen durchgeführt worden, um sich
an den regionalen Baustil anzugleichen.
Die Stromversorgung der Einrichtung erfolgte im Normalfall über eine
Trafo-Station aus dem öffentlichen Netz. Im Falle einer Unterbrechung
konnte eine Notstromanlage eingesetzt werden. Diese war geschützt in
einem Bunker untergebracht. Über die Versorgung mit Wasser liegen keine
Angaben vor. Für die Abwässer gab es im Zentrum des Geländes neben dem
Blaubach ein kleines Klärwerk, welches Richtung Ecker entsorgte.
Von der oben erwähnten Eisenbahnstrecke zweigte nördlich der Bundesstraße
6 ein Anschlußgleis in die Muna ab, welches über ein Stichgleis verfügte.
Über diese Schienen wurden mehrere im Süden der Liegenschaft befindliche
Lagerhäuser für Material, sowie einzelne Munitionshäuser unmittelbar
angeschlossen. So konnte direkt umgeschlagen werden. Der Dienststelle
war eine eigene Lokomotive zugewiesen, für die ein Lokschuppen zur Verfügung
stand.
Weiter in Richtung Norden und Westen schloß der eigentliche
Munitionsbereich an. Hier standen Lagerhäuser für Materialien und Packmittel.
Die Munition wurde in zahlreichen erdüberdeckten Munitionshäusern (MH)
aufbewahrt. Die Zünder lagerten separat in kleinen ebenfalls erdüberdeckten
Zünderhäusern. Schließlich sind die Arbeitshäuser zu nennen, in denen
die Bezünderung von Bomben und Granaten sowie Instandsetzungsarbeiten
erfolgten.
Auf einem Lageplan ist zu erkennen, daß in der östlichen Hälfte der Munitionsanstalt
Munitionshäuser 20 t standen. Die MH 20 t waren der Standardtyp für Luftwaffen-Munitionsanstalten,
der in den 1930er Jahren errichtet wurde. Sie hatten eine Lagerkapazität
von 20 t Explosivmitteln auf 150 m² Nutzfläche, und verfügten über einen
Eingang. In einem zweiten Bauabschnitt entstanden während des II. Weltkrieges
im westlichen Bereich die in späteren Jahren üblichen größeren MH 30
t. Diese hatten eine Lagerfläche von 250 m², und wiesen zwei Eingänge
auf. Dazu kamen die 12 kleinen Zünderhäuser mit lediglich 50 m² Fläche,
allesamt im östlichen Teil untergebracht. Insgesamt waren in der Muna
Stapelburg mehr als 90 Lagerbunker zu finden.
Im endgültigen Ausbaustand umfaßte der eingezäunte Bereich der Muna Stapelburg
rund 190 ha Grundfläche.
Die Hauptaufgabe der Munitionsanstalt war die Bezünderung
und Lagerung von Abwurfmunition und Granaten für die Luftwaffe. Die vor
Ort kursierende Aussage, daß die Dienstelle zur Versorgung des Fliegerhorstes Goslar bestand, ist falsch. In Goslar waren über die meiste Zeit keine Verbände stationiert,
die Bomben abgeworfen hätten. Vielmehr wurden Flugplätze beliefert, die
sich nach Beginn des II. Weltkrieges zum größten Teil in den besetzten
Ländern Europas befanden.
Die Munition ist in der Muna bereits mit Sprengstoff befüllt per Eisenbahn
angeliefert worden. In Arbeitshäusern versah man die Bomben und Granaten
mit Zündern. Der Lagerbereich konnte einen umfangreichen Bestand aufnehmen.
Nach Anforderungen durch die verwendende Truppe, hat man die Chargen
zusammengestellt und für den Versand vorbereitet. Der Abtransport erfolgte
wiederum per Eisenbahn zu den Nutzern.
In Stapelburg verarbeitete man Munition und Bomben, von kleinen Kalibern
bis hin zu sehr großen Panzersprengbomben. Bei der Entmunitionierung
stieß man auf Reste der Panzersprengbombe PC 1600 A. Diese wog 1,6 t
und war mit Leitwerk 2,8 m lang.
Zur Unterbringung des Leitungspersonals der Anstalt hatte
man 1936/37 eine kleine Muna-Siedlung aufgebaut. Sie lag auf halbem Weg
nach Stapelburg, unmittelbar östlich der Ecker. Hier wohnte das Stammpersonal
in Führungspositionen mit dessen Familien.
Für den Betrieb der Muna konnten in der ersten Zeit Arbeitskräfte aus
der Umgebung gewonnen werden. Nach Beginn des II. Weltkrieges wurden
viele Männer eingezogen. Gleichzeitig stieg die Munitions-Produktion
stark an. Die Luftwaffe griff nun auf Dienstverpflichtete zurück. Darunter
waren sehr viele Frauen, teilweise aus der Umgebung, aber auch aus entfernten
Gegenden. Üblich war der Einsatz von Fremd- und Zwangsarbeitern sowie
Kriegsgefangenen in den Munitionsanstalten, darüber liegen für Stapelburg
jedoch keine genaueren Angaben vor.
Der Betrieb der Anstalt lief während des Krieges weitgehend
ungestört. Obwohl den Alliierten die Existenz der Muna Stapelburg sehr
wohl bekannt war, gab es keine gezielten Luftangriffe. Dieser Umstand
war bei fast allen vergleichbaren Anlagen gegeben. Die Priorität bei
Bombenangriffen lag auf Verkehrs-Infrastruktur und Industrie.
Im Frühling 1945 gab es eine sehr kurze besondere Nutzung
von Gebäuden der Munitionsanstalt. Vom 3. bis zum 9. April ist hier der
Gefechtsstand „Herold 4“ eingerichtet gewesen. Darin kam ein Kommando
der Luftflotte Reich unter. Die Luftwaffe hatte in der letzten Phase
des Krieges ihre Einsatzführung auf diverse Standorte verteilt, die meist
nur kurzzeitig genutzt worden sind. Der Vormarsch der Alliierten sorgte
hier für häufige Verlegungen.
Inzwischen hatte sich die US Army bis an den Westrand des Harzes vorgekämpft.
Deren Eintreffen in Stapelburg stand somit unmittelbar bevor. Nun erhielt
der Kommandant der Muna den Befehl zur Zerstörung der Anstalt mit allen
Betriebsteilen. Diese Anordnung bestand für alle vergleichbaren Dienststellen,
sie wurde aber teilweise nicht, oder nur eingeschränkt umgesetzt.
In Stapelburg ist sie jedoch nachhaltig befolgt worden. Man brachte nun
Sprengladungen in sämtlichen Munitionsbunkern an, und bereitete auch
mehrere Arbeits- und Lagerhäuser zur Sprengung vor. Anscheinend hatte
man in den letzten Monaten Kampfmittel aus anderen Anstalten nach Stapelburg
verlegt, um sie dem Zugriff durch die Alliierten zu entziehen. Daher
befanden sich hier sehr umfangreiche Bestände, darunter auch nicht von
der Luftwaffe verwendete Munition.
Die Bevölkerung der umliegenden Orte ist entsprechend informiert worden,
damit sie die Dörfer rechtzeitig verlassen konnten. Am Abend des 10.
April 1945 begannen die Sprengungen. Dabei ging es hauptsächlich um die
Zerstörung der Gebäude. Es blieb stets unversehrte oder nur leicht beschädigte
Munition übrig. Diese wurde durch die Explosionen teilweise fortgeschleudert.
So kam es zur großflächigen Belastung des Unteren Schimmerwaldes mit
Kampfmitteln. Am Ende war die gesamte Muna zerstört, ausgenommen der
Verwaltungsbereich und einige Lagergebäude.
Am folgenden Tag besetzten Einheiten der amerikanischen 83rd Infantry
Division die Gegend und beendeten den II. Weltkrieg für Stapelburg.
Ab 1945:
Am 1. Juli 1945 wurde die bereits im Vorjahr beschlossene Aufteilung
Deutschlands in Besatzungszonen der Siegermächte vollzogen. Damit lag
Stapelburg in der sowjetischen Zone, während die Munitionsanstalt sich
in der britischen Zone befand.
Die Briten begannen nun mit der Entmilitarisierung der Liegenschaft.
Dazu mußte mit schwerem Gerät die verbliebene Munition aus den Trümmern
geborgen werden. In großen Erdmulden trug man die explosiven Teile zusammen
und vernichtete sie durch Sprengungen. Am Ende sind alle verbliebenen
Bauten zerstört worden, sodaß schließlich nur noch die Häuser im Verwaltungsbereich
stehen blieben.
Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR im
Jahre 1949 bestanden zwei Staaten in Deutschland. Deren Grenze verlief
zwischen Eckertal und Stapelburg. Während des Kalten Krieges trennte
diese Grenze auch die militärischen Blöcke von NATO und Warschauer Pakt.
Mitte der 1950er Jahre begann der Aufbau der Bundeswehr. Diese übernahm
viele ehemalige militärische Objekte der Wehrmacht, darunter auch diverse
Munitionsanstalten, um sie als Garnisonen oder Depots zu nutzen. Aufgrund
der unmittelbaren Nähe zur innerdeutschen Grenze kam eine Übernahme der
Muna durch Bundeswehr oder NATO-Partner nicht in Frage. Auch der Bundesgrenzschutz
hatte hier keinen Bedarf.
Es ergab sich nun eine andere staatliche Nutzung der verbliebenen Bauten
im Verwaltungsbereich. Diese standen unter der Administration des Bundesvermögensamtes.
Sie wurden als Mietwohnungen, Bundesdarlehenswohnungen und Dienstwohnungen
für Zollbeamte zur Verfügung gestellt. Im Keller eines Gebäudes war der
Grenzmeldepunkt 340 untergebracht. Dieser bestand aus der Grenzaufsichtsstelle
Eckertal des Zollkommissariats Bad Harzburg. Hier begann und endete der
tägliche Streifendienst der Zollbeamten, entlang der innerdeutschen Grenze.
Nach der damaligen Entmilitarisierung war ein großer Teil des übrigen
Areals eine Kraterlandschaft. Die Fläche ging in forstwirtschaftliche
Nutzung über, viele Bäume wurden gepflanzt.
Es zeigte sich schon früh, daß auf der Fläche des ehemaligen
Lagerbereiches eine besondere Gefahr durch weiterhin vorhandene Munition
bestand. Bereits in den ersten Nachkriegsjahren kamen bei einem Explosionsunglück
zwölf Frauen ums Leben, die Pflanzarbeiten für die Forstwirtschaft durchgeführt
hatten.
Die nach dem Krieg erfolgte Beräumung durch die Briten hatte wohl nur
die an der Oberfläche sichtbaren Kampfmittel erfaßt. Vieles lag aber
durch die am Kriegsende übereilten Sprengungen noch im Erdboden. Außerdem
führte die später erfolgte Vernichtung durch Explosionen stets auch zu
fortgeschleuderten Granaten, die weiterhin gefährlich blieben.
Erst 1978 begann eine systematische Munitionsräumung. Nach mehreren Unterbrechungen
fand diese 2012 ihren Abschluß. Auf Teilflächen mußte der gesamte Baumbestand
gefällt werden. Der darunter liegende Boden ist bis in 40 cm Tiefe abgetragen
und durchsiebt worden.
Aufgefundenes explosives Material hat man vor Ort sachgerecht gesprengt.
Die Vernichtung von Kleinmunition erfolgte zum Teil in einem ehemaligen
Luftschutzbunker am Ostrand der Muna. Nach Vollendung der Arbeiten konnte
mit der Wiederaufforstung begonnen werden. Zukünftig sollen hier hochwertige
Hölzer wachsen.
Da Zoll und Bundesgrenzschutz nach der deutschen Wiedervereinigung
in dieser Gegend nicht mehr gebraucht wurden, entfiel auch die bisherige
Nutzung des Verwaltungsbereiches. Inzwischen befindet sich dieser in
Privatbesitz und dient weiterhin zu Wohnzwecken.
Bis heute ist auch die frühere Muna-Siedlung am Westrand von Stapelburg
bewohnt. In der DDR-Zeit lag sie in der Sperrzone der Grenze, und konnte
nur eingeschränkt erreicht werden.
Zustand:
Der ehemalige Verwaltungsbereich bildet heute eine idyllisch gelegene,
unter Denkmalschutz stehende Wohnsiedlung im Schimmerwald. Mehrere
Bauten aus der Muna-Zeit blieben so erhalten. Dagegen sind von den
früher zahlreichen Bunkern und Lagerhäusern nur mit Mühe noch Spuren
zu finden. Einzelne betonierte Bodenplatten von Munitionshäusern 30
t blieben erhalten. Die Fotos auf dieser Seite zeigen die wesentlichen
Objekte.
Zugang:
Die gesamte Liegenschaft ist heute, nach Abschluß der intensiven Munitionsräumung,
als Erholungsgebiet frei begehbar, ausgenommen natürlich die Privatgrundstücke.
Hinweis:
Eine weitere Seite berichtet über die Muna Stapelburg:
https://www.sachsenschiene.net/bunker/mun/mun_49.htm
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Blick
aus der Vogelperspektive mit Google Maps:
Fotos:
Das Haupttor der früheren Luft-Munitionsanstalt 4/VI Stapelburg.
Neben dem Tor unverkennbar ein Adler aus der NS-Zeit.
Das Wachgebäude.
An der Wache eine Inschrift, der Name wurde entfernt.
Die Kommandantur verfügte über zwei Geschosse.
Ein Unterkunftsgebäude.
Eine weitere Unterkunft.
Dieses war vermutlich das Wirtschaftsgebäude.
Die frühere Tischlerei im Betriebsbereich.
Blick von der anderen Seite.
Daneben ein historischer kleiner Schuppen.
Hier war seinerzeit die Schmiede untergebracht.
Mehrere Fahrzeughallen blieben erhalten.
Hier bilden drei Hallen einen Garagenhof.
Weitere Halle am Garagenhof.
Die Rückseite einer Garage.
Betriebsgebäude westlich vom Verwaltungsbereich.
Die Transformatoren-Station.
Gleich daneben die Trümmer des Bunkers der Notstromanlage.
Eine Unterverteilung der Stromversorgung im Gelände.
Vor der Muna ein Schacht zu einem alten Schieber der Wasserversorgung.
Am Rand des Verwaltungsbereiches steht diese Löschwasserzisterne.
Auf der anderen Seite ein Eingang.
Blick auf den Zugang.
Am Ostrand der Muna ist dieser Luftschutzbunker zu finden.
Er sollte inzwischen als Fledermausquartier dienen.
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