Bis
1945:
In Westertimke existierte seit den 1930er Jahren ein kleines Ausbildungslager
der Luftwaffe, bestehend aus lediglich sechs Baracken. Das südlich angrenzende
Gelände wurde als Übungsplatz verwendet, es konnte auch als Feldflugplatz
genutzt werden. Diese Funktion hatte nur bis Herbst 1941 bestand.
Die
Wehrmacht errichtete für auf See in Gefangenschaft genommene Schiffsbesatzungen
eigene Lager, die unter der Verwaltung der Kriegsmarine standen. Handelte
es sich bei den Besatzungen um Soldaten, sind diese in Marinelager (Marlag)
eingewiesen worden.
Bereits am 27. September 1939 versenkte ein deutsches Kriegsschiff ein
unter alliierter Flagge fahrendes ziviles Handelsschiff. Nach der Haager
Kriegsordnung durften zivile Seeleute der Handelsschiffahrt nicht festgehalten
werden. Die Kriegsmarine nutzte einen Vorwand, sie als Kombattanten einzustufen:
Schon das Vorhandensein eines einzigen Gewehres an Bord reichte dazu
aus! Diese gefangenen Zivilisten hat man in gesonderten Marine-Internierten-Lager
(Milag) untergebracht. Über 5.000 Seeleute sind im Laufe des II. Weltkrieges
vom deutschen Militär auf Handelsschiffen gefangengenommen worden.
Nachdem in der ersten Zeit des Krieges verstreute Lager in besetzten
Ländern mit Nähe zur Küste errichtet wurden, hat man im April 1941 im
großen Kriegsgefangenenlager
Sandbostel einen Bereich abgeteilt. Das Marlag und das Ilag entstanden, Vorläufer der Westertimker
Lager.
Auf Veranlassung durch die USA und die Schweiz, übte das Internationale
Rote Kreuz Druck auf die deutsche Regierung aus, Zivilisten nicht in
einem Kriegsgefangenenlager einzusperren. Daraufhin sind mit Gefangenen
Arbeitskommandos zusammengestellt worden, die ab Juli 1941 Baracken in
Sandbostel abbauten und sie in Westertimke wieder errichteten. Dies zog
sich bis zum Februar 1942 hin.
Auf dem Gelände des Luftwaffenlagers entstand das Marlag,
bestehend aus maximal 31 Gebäuden. Es war in drei Bereiche getrennt.
Im Westen hatte man im Teil „O“ Offiziere untergebracht. Die Mannschaften
lagen im östlichen Teil „M“. Zwischen beiden war ein administrativer
Bereich. Hier standen Wachgebäude, Arrest und ein großes Kohlenlager.
300 m östlich von Marlag ist auf einer Freifläche das Milag mit bis zu
36 Bauten errichtet worden. Auch dieses hatte verschiedene Abschnitte.
Im Norden wurden Schiffsoffiziere einquartiert, im Süden die Mannschaften.
Ein für alle hiesigen Lager zuständiges Hospital ist ebenfalls im Milag
untergebracht gewesen.
Vor dem Tor des Milag entstand ein Verwaltungsbereich mit Kommandantur
und Lagerhäusern. Weiter westlich wurde in massiver Bauweise ein Duschhaus
errichtet, das alle Lager des Standortes nutzten.
In der Anfangszeit des II. Weltkrieges betrieb die Kriegsmarine in Wilhelmshaven
ein Durchgangslager (Dulag), in dem von See neu eintreffende Gefangene
erfaßt und in Gruppen aufgeteilt wurden. Anschließend hat man sie in
entsprechende Gefangenenlager im Reichsgebiet weitergeleitet. Nach Bombenangriffen
der Alliierten auf Wilhelmshaven, ist die Einrichtung im Februar 1942
nach Westertimke verlegt worden. Das Dulag Nord befand sich zwischen
Marlag und Milag, nördlich des Duschhauses.
Im September 1943 wurden rund 630 zivile Seeleute, aus den Ländern Indien,
China, Burma und Aden, aus dem Milag in das neu errichtete „Inderlager“
ausquartiert. Dieses stand einige hundert Meter westlich von Westertimke.
Am Nordostrand des Dorfes sind zwei Lager für die deutsche Administration
gebaut worden. Im Lager III kam die Verwaltung unter. Das Lager IV diente
dem Wachpersonal als Unterkunft.
Das Marlag Nord war im Bereich „O“ mit etwa 200 Offizieren
und deren Ordonnanzen belegt. Im Bereich „M“ sind es rund 650 Mannschaften
gewesen. Den Großteil der Gefangenen stellten die Briten. Aber auch einige
andere Nationen waren hier zu finden, darunter US-Amerikaner, Kanadier,
Australier, Norweger und Griechen.
Im Milag Nord hatte man zwischen 2.700 und 4.200 internierte Zivilisten
aus 29 Nationen einquartiert. Auch hier stammte ein großer Teil aus Großbritannien.
Eine besondere Geschichte betraf einige Irische Seeleute aus dem Milag.
Sie sollten für Deutschland arbeiten, verweigerten dies aber. Daraufhin
wurden sie im Februar 1943 in das Arbeitserziehungslager
Bremen-Farge eingewiesen und mußten dort unter härtesten Bedingungen bis zum April 1945 bleiben.
Fünf von ihnen überlebten die Strapazen nicht.
Das Dulag Nord diente überwiegend zur Durchschleusung von Gefangenen,
und ist entsprechend sehr wechselhaft belegt gewesen. Unter anderem waren
hier für einige Zeit britische Kommandotruppen untergebracht, die bei
der Zerstörung der Schleuse des großen „Normandie-Docks“ im Hafen von
St. Nazaire am 28. März 1942 festgenommen worden sind.
Die anfangs rund 630 Insassen des Inderlagers vertrugen das norddeutsche
Klima recht schlecht. Für sie war auch die Versorgungslage wesentlich
ungünstiger. Sie erhielten kaum Pakete aus ihren Heimatländern. Diese
Umstände führten dazu, daß die Sterblichkeit unter ihnen höher war, als
in den anderen Lagern.
Generell sind die Insassen der Westertimker Gefangenenlager von der Wehrmacht
unzureichend verpflegt worden. Für die meisten Gefangenen trafen aber
Rot-Kreuz-Pakete aus deren Heimat ein. Damit konnte zumindest das Überleben
dieser Soldaten und Zivilisten sichergestellt werden.
Einige Gefangene verstarben nach Krankheiten oder Unfällen in den Lagern.
Sie wurden auf einem eigens für sie angelegten Friedhof beerdigt. Er
befand sich ca. 200 m westlich des Marlag.
Die meist mehrjährige Unterbringung in den Westertimker Lagern
mußten die Gefangenen in irgendeiner Form absitzen. Man trieb Sport,
besuchte selbst organisierte Unterrichte oder bildete Theater- und Musikgruppen.
Die Lagerleitung setzte Gefangene auch in Arbeitskommandos ein, vor allem
in der Landwirtschaft der Umgebung. Diese Tätigkeiten waren relativ begehrt,
da die so Beschäftigten dabei ihre Verpflegung aufbessern konnten.
Aus dem Milag sind mehrere Fluchttunnel nach Außerhalb gegraben
worden. Der erste, rund 40 m lang, entstand von März bis August 1943.
Durch ihn entkamen 12 Gefangene, die aber alle innerhalb von zwei Wochen
wieder eingefangen waren. Ein zweiter Tunnel, auch ca. 40 m lang, wurde
von April bis August 1944 gebaut, die entkommenen 5 Seeleute sind ebenfalls
nach kurzer Zeit zurückgebracht worden. Ein von Norwegern gegrabener
Tunnel fiel vor der Vollendung dem Verrat zum Opfer. Außerdem soll noch
ein Tunnel existiert haben, der nicht zur Flucht, sondern zum Schmuggeln
von Waren und Lebensmitteln diente.
Der Bodenaushub dieser Tunnel ist im gesamten Lager verteilt worden,
der Feuerlöschteich wurde dadurch so flach, daß Seeleute, die Modellschiffe
gebaut hatten, diese nicht mehr im Teich fahren lassen konnten.
Zum Kriegsende hin änderte sich die relative Abgeschiedenheit
der Lager in Westertimke. Die Bereiche sind mit Truppen stark überbelegt
worden, die man aus evakuierten anderen Gefangenenlagern hierher verlegte.
Dadurch sah sich die Lagerleitung gezwungen, die Versorgung der einzelnen
Gefangenen zu reduzieren. Gleichzeitig kamen immer weniger Pakete des
Roten Kreuzes bis nach Westertimke durch. Am 4. Februar 1945 trafen rund
3.000 Offiziere der Royal Air Force aus dem evakuierten Stalag Luft 3
Sagan (Schlesien) in Westertimke ein. Sie wurden auf Marlag und Milag
aufgeteilt.
In den letzten Tagen des Krieges sind die Verhältnisse in
Westertimke chaotisch geworden. Am 9. April zogen die regulären Wacheinheiten
ab. Sie wurden durch ältere Männer ersetzt, vermutlich Volkssturm. Am
gleichen Abend verkündete die Lagerleitung, daß die militärischen Kriegsgefangenen
aus dem Marlag und dem Dulag nach Lübeck verlegt werden sollten. In der
folgenden Nacht flohen daher viele der Soldaten in die umliegenden Wälder
und ins Milag. So zogen am nächsten Morgen nur noch weniger als 200 Mann
per Fußmarsch Richtung Lübeck ab.
Am 16. April trafen knapp 2.000 französische und polnische Kriegsgefangene
in Westertimke ein und belegten Marlag und Dulag aufs Neue. Dazu kamen
weitere 1.800 gefangene US-Amerikaner. So waren die Lager am Ende des
Krieges mit etwa 8.000 Menschen belegt.
Am 19. April bezogen Teile der 15. Panzergrenadierdivision
die Gegend, um sich hier für die Verteidigung einzurichten. Dabei positionierten
sie, entgegen den Genfer Konventionen, Panzer und Geschütze unmittelbar
neben den Kriegsgefangenenlagern. Zum eigenen Schutz vor den anstehenden
Gefechten gruben sich Gefangene in den Lagern Splitterschutzgräben. Deutsche
Artillerie feuerte aus den Stellungen neben den Lagern gegen die Angreifer.
Im Laufe des 27. April 1945 erreichte schließlich britische Infanterie
den Ort Westertimke. Die deutschen Truppen hatten sich jedoch kurz zuvor
zurückgezogen. In der folgenden Nacht postierten die Briten Panzer an
den Ecken der Lager - die Befreiung war gekommen!
Ab 1945:
Die Briten verlegten die Lagerinsassen bereits ab 29. April 1945 zügig
in Richtung Heimat. Viele der Befreiten sind über den Fliegerhorst
Diepholz auf dem Luftweg nach Großbritannien gebracht worden.
Die Offiziers-Bereiche von Marlag und Milag dienten nun zur
Unterbringung von deutschen Kriegsgefangenen. In den Baracken des Marlag-Teils
„O“ bildete die britische Armee das „Civil Internment Camp (C.I.C) No.
9“ und quartierten hier hauptsächlich deutsche Nazi-Funktionäre und Kriegsverbrecher
ein. Für einen Tag, den 22. Mai 1945, war der Reichsführer der SS Heinrich
Himmler unter den Gefangenen, bevor er nach Lüneburg gebracht wurde.
1946 bildete der Marlag-Bereich „M“ die realistische Kulisse
für den britischen Kriegsgefangenen-Film „The Captive Heart“.
Ab 1952 nutzte man die Bauten des Milag zur Unterbringung elternloser
weiblicher Jugendlicher im Alter zwischen 14 und 24 Jahren, welche aus
der DDR geflohen waren. Die entsprechende Einrichtung für männliche Jugendliche
bestand zur gleichen Zeit in Sandbostel.
Diese Verwendung endete 1961.
Danach verschwanden im Nordteil des Milag nach und nach die alten Baracken,
an ihre Stelle traten neue Wohnhäuser. Der südliche Bereich ist heute
dicht bewaldet.
Einige Jahre nach Gründung der Bundeswehr übernahm diese das
Gelände des Marlag und baute die Anlage zur Timke-Kaserne aus. Hausherr
wurde ab März 1963 das Flugabwehrraketenbataillon (FlaRakBtl) 31.
Diesem Verband unterstanden vier Batterien, die mit dem FlaRak-System
Hawk ausgerüstet waren. Sie lagen in ausgebauten Einsatzstellungen rollierend in
Luftverteidigungs-Bereitschaft. Nur die 1. Batterie war ebenfalls in
Westertimke untergebracht. Deren Einsatzstellung befand sich in Nartum,
rund 9 km südöstlich der Kaserne gelegen. Die weiteren Batterien hatten
ihre Unterkünfte in Rotenburg (Wümme), Bremen-Vahr und Axstedt. In Westertimke sind neben dem Bataillonsstab und der 1. Batterie auch die Stabs-
und die Versorgungsbatterie sowie die Sanitätsstaffel beheimatet gewesen.
Bevor die 1./FlaRakBtl 31 ihre Einsatzstellung in Nartum beziehen konnte,
betrieb sie von 1963 bis 1966 unmittelbar südlich des Marlag auf dem
Vorkriegs-Übungsplatz eine Feldstellung. Dieses Gelände ist in der Folgezeit
als Standortübungsplatz genutzt worden.
Nach Ende des Kalten Krieges folgten für die Bundeswehr zahlreiche
Umgruppierungen. Darin wurde beschlossen, das FlaRakBtl 31 nach Sanitz
in Mecklenburg-Vorpommern zu verlegen. Im Juli 1993 zog der Verband dorthin,
die Timke-Kaserne wurde aufgegeben.
Nach einigen Jahren Leerstand konnte das Gelände zum Gewerbegebiet Timke-Park
umgewandelt werden.
Zustand:
Im Bereich des Marlag, bzw. der ehemaligen Timke-Kaserne, sind noch einzelne
massive Baracken erhalten. Durch die Umwandlung zum Gewerbegebiet hat
sich an der Infrastruktur des Areals einiges verwandelt, und wird sich
auch künftig nach Bedarf ändern.
Im Milag-Gelände sind ebenfalls einzelne historische Bauten zu finden.
Die Bilder dieser Seite zeigen diese. Vom Dulag und dem Inderlager sind
keinerlei Spuren erkennbar.
Zugang:
Alle ehemaligen Lagerbereiche können frei betreten werden, ausgenommen
natürlich Privatgrundstücke.
Hinweis:
Ein englischsprachiges Buch über das Milag ist erschienen:
Titel: Milag: Captives of the Kriegsmarine
Verlag: The Milag Prisoner of War Association
ISBN: 0-9525498-08
In einem Heft der Reihe After
the Battle gibt es einen umfangreichen Artikel, der ausführlich über die Westertimker Lager
berichtet:
Titel: After the Battle - Number 137
Verlag: Battle of Britain Press |
Blick
aus der Vogelperspektive mit Google Maps:
Marlag:
Milag:
Fotos:
Marlag Nord:
Blick auf die Haupteinfahrt der früheren Timke-Kaserne, links das Stabsgebäude
des FlaRakBtl 31.
Die alten Holzbaracken des Marlag sind schon lange abgerissen, selbst
die moderneren Unterkunftsblocks der Bundeswehr wurden hier wieder
beseitigt.
In diesem Gebäude waren Küche und Kantine des Offiziers-Bereiches untergebracht.
Die Bundeswehr nutzte den Bau ebenfalls als Küche.
Der ehemalige Sanitätsbereich der Timke-Kaserne ist ein Nachkriegsbauwerk.
Eine weitere historische Baracke, das Wasch-Haus. Von der Bundeswehr
genutzt als Offiziers-Kantine.
Das Wasch-Haus, Baracke Nr. 9, aus einem anderen Blickwinkel.
Milag Nord:
Noch heute steht außerhalb des Milag, gegenüber dem Haupttor, die ehemalige
Lagerkommandantur.
Die Baracken Nr. 31 und 32 in massiver Bauweise haben die Zeiten überdauert.
Darin befanden sich früher die Sanitäranlagen.
Von der heutigen Wohnsiedlung umschlossen stehen, hinter Bäumen versteckt
zwei weitere Milag-Bauten, Gebäude 13 und 13a. Auch sie enthielten
früher Sanitäranlagen, hier für den Offiziers-Bereich.
Verwaltung:
Direkt neben dem Milag steht das einzige erhaltene historische Holzgebäude,
ein Magazin.
Ein Teil des Magazins ist heute bewohnt.
Westlich abgesetzt das massive Duschhaus für alle Lager des Standortes
Westertimke. Von der Bundeswehr wurde es später als Soldatenheim genutzt.
Luftwaffen-Übungsgelände:
Das Gelände des früheren Übungsplatzes südlich des Marlag.
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