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Rubrik: Fabrikationsanlagen Translation: English French Spanish Italian Dutch Danish Polish Russian
Neuero - Muster-Schutzbauten in Wilsum
 Relikte des Kalten Krieges: 
Die kleine Gemeinde Wilsum liegt im Landkreis Grafschaft Bentheim. Der Landstrich Niedergrafschaft Bentheim bildet eine deutliche Ausbuchtung Niedersachsens nach Westen in die Niederlande. Nur 10-15 km nördlich, westlich und südlich von Wilsum verläuft die deutsche Landesgrenze.
Im Gemeindegebiet stehen an zwei getrennten Orten ungewöhnliche Schutzbauten. Diese haben eindeutig ein militärisches Aussehen. Sie befinden sich aber nicht in einer aktiven oder ehemaligen militärischen Liegenschaft. Weder Bundeswehr noch NATO-Partner haben mit den Objekten etwas zu tun. Auch zum gut 2 km entfernten Gerätedepot Itterbeck, einschließlich benachbartem Teildepot Munition mit seinen zahlreichen Munitionsbunkern, gab es keine Beziehungen.
Dementsprechend entstanden im Umfeld einige Gerüchte über die Hintergründe. Die sind aber, wie so oft, überwiegend abseits der Wahrheit. Dieser Bericht soll nun die Fakten nennen.

Seit Jahrzehnten ist in Emlichheim die Firma Neuero aktiv. Zeit ihres Bestehens gab es diverse eigenständige Betriebe, mit wechselnden Bezeichnungen. Neben Emlichheim ist auch im östlich von Osnabrück liegenden Melle ein Standort gewesen. Heute ist in Emlichheim die Neuero Railtec GmbH aktiv. Ein Schwerpunkt von Neuero lag auf der Produktion von Silos, hauptsächlich für den Bedarf der Landwirtschaft. Das Portfolio ist im Laufe der Zeit erweitert worden, nach eigenen Angaben schließlich auch um „militärische Schutzbauten (Shelter)“.

Um potentiellen Kunden solche Schutzbauwerke in Originalgröße vorstellen zu können, wurden mehrere Muster-Bauten erstellt. Die sind an zwei verschiedenen Orten in der Gemeinde Wilsum entstanden. Beide liegen gut 10 km vom Firmenstandort in Emlichheim entfernt. Östlich steht das ältere Objekt einzeln, fast 4 km weiter westlich findet man zwei Shelter und einen Schutzraum.

Der Schutzraum:
Der am westlichen Standort aufzufindende unterirdische Schutzraum erinnert von der Form und den verwendeten Materialien stark an die landwirtschaftlichen Silos der Firma Neuero. Für die Konstruktion ist ein gleichartiges Wellblech verwendet worden. Es werden stets kleinere Elemente miteinander verschraubt. Dadurch kann man den Bau nach Bedarf und örtlichen Gegebenheiten konfigurieren. Das verwendete Stahlblech ist recht dünn, Sicherheit gegen Beschuß bietet dieses Material nicht. Der Schutzfaktor entsteht durch die Lage eines Stollens unter Boden. Je nach Höhe der Überdeckung mit Erde oder Sand, ist der eigentliche Aufenthaltsbereich mehr oder weniger stark abgeschirmt.
Auf Bodenhöhe steht ein zylinderförmiges Eingangsbauwerk von lediglich 2,5 m Durchmesser. Hier gibt es nur eine Eingangstür, und den kurzen Abgang zum Stollen. Gegenüber dem Eingang kann für die Beobachtung des Umfeldes eine Klappe geöffnet werden. Wahlweise ist diese mit einem Schutzgitter zu verschließen. Dazu kommt unterhalb der Klappe eine runde Luke, möglicherweise könnte man dadurch mit Handwaffen wirken.
Über nur drei Stufen erfolgt der Abstieg zum Schutzstollen. Dieser wird beim Musterbau durch eine Erdüberdeckung abgeschirmt. Entsprechend dessen recht hoher Lage, ist das Gelände auf dieser Seite des Eingangsbauwerks mit Gefälle ausgebildet.
Der eigentliche Stollen ist hier nur etwa 10 m lang. Es werden wiederum vorgefertigte Wellblechelemente miteinander verschraubt. Daher sollte auch die Länge nach Bedarf variierbar sein. An den Enden steht eine glatte Abschlußwand. Belüftungsschächte sind bei diesem Stollen nicht zu erkennen. Für größere Ausführungen wären diese vermutlich erforderlich gewesen.

Die Multi Purpose Shelter:
Deutlich größere Muster-Bauten sind die drei Shelter. Bei einem Blick auf Fotos, ohne Kenntnis der Abmessungen, kommen einem sogleich geschützte Flugzeughangars in den Kopf. Diese Auslegung und Form ist auf vielen militärischen Flugplätzen aufzufinden. Allerdings sind die Bauten in Wilsum wesentlich kleiner, Flugzeuge könnten die Einfahrten auf keinen Fall passieren. Die Bauwerke wurden als Multi Purpose Shelter vermarktet. Sie sollten zur Deponierung von Munition, und als Garagen zur geschützten Unterstellung von Fahrzeugen und Waffensystemen dienen.
Das einzeln stehende Objekt im Osten, und die zwei im Westen sind erkennbar unterschiedlich ausgelegt. Die grundsätzliche Konzeption ist aber in weiten Teilen gleich. An der Vorderseite steht eine glatte Wand aus dickerem Stahlblech, die aus mehreren Einzelmodulen zusammengesetzt wurde. An den Stoßkanten hat man die Verbindungen zum benachbarten Teil meist mit massiven Keilklammern ausgeführt. Die Front verfügt über ein großes Tor, zur Einfahrt mit Fahrzeugen, und einen kleinen Personeneingang. Auffällig ist die vorgewölbte Bauform der Tore. Daneben gibt es zwei Luken für die Belüftung. An der Rückseite des Front-Elements erfolgt die Verbindung zur Überdeckung des Shelters über Schraubspindeln.
Den Innenraum des Bauwerks decken stählerne Rundbögen ab. Die Breite wird durch die verwendeten Bögen beschränkt. In der Tiefe können beliebig viele Elemente hintereinander aufgestellt werden, dadurch ist die Länge variierbar. Die Dachelemente bestehen aus halbrundem fein gewelltem Stahlblech. Die Rückwand ist wiederum glatt ausgeführt, sie hat nur eine kleine Öffnung zum Anschluß eines Belüftungsschachtes. Der Kamin führt senkrecht durch die Erdüberdeckung und trägt eine Abdeckung. Die Rundbögen könnte außen eine Betonauffüllung bekommen. Außerdem ist der Shelter an den Seiten und hinten mit einer Erdüberdeckung abgeschirmt worden. Somit verfügte das Objekt über einen Grundschutz gegen Beschuß.
Der grundsätzliche Aufbau dieser Shelter ist damit gleich zu den in üblichen Munitionsdepots genutzten Munitionslagerhäusern. Die Neuero-Produkte zeichnet eine Schnellbauweise aus. Die diversen Elemente ließen sich recht zügig zusammensetzen. An größeren Teilen sind Ösen für das Anheben mit Kränen fest angebracht. Die Shelter konnten auf einen geebneten Boden gestellt werden. Für den Hallenboden ist eine Abdeckung mit Stahlplatten vorgesehen.

Der im Osten stehende Multi Purpose Shelter soll das ältere Muster-Bauwerk sein. Die Grundfläche ist hier größer. Bei einer Breite von ca. 12 m, betrug die Länge etwa 30 m. Das große Tor an der Front ist 4,8 m breit und 4 m hoch. Auffällig gegenüber den anderen Bauten ist das fehlende Vordach über der Front.
Die Shelter im Westen sind als weitgehend baugleiches Paar aufgestellt worden. Der Innenraum hat am Boden eine Breite von 10 m, und eine Länge von 15 m. In der Mitte werden 5 m Innenhöhe erreicht. An der Vorderseite ragt die Überdeckung ca. 2 m über den Eingangsbereich hinaus, und schirmt so das Tor etwas weiter ab. Das große Tor ist 5 m breit und 3,5 m hoch.

Auffällig ist an allen auf dieser Seite vorgestellten Schutzbauten der gleichartige Anstrich. Es handelt sich um eine für das Militär obligatorische matte Tarnfarbe. Allerdings ist der Farbton Sandgelb – für die hiesige Gegend recht ungeeignet. Die Farbe deutet aber auf die anvisierten Kunden hin: Staaten im arabischen Raum.

Bereits in den 1970er Jahren gab es Projekte deutscher Firmen für den Aufbau militärischer Infrastruktur in arabischen Staaten, mit Zustimmung der damaligen Sozial-Liberalen Bundesregierung. Zu der Zeit wurden in Libyen Bunker dieser Art gebaut. Ein weiterer Großauftrag folgte im Irak. Zwischen 1982 und 1984 sind in dem Land 1.000 der Multi Purpose Shelter von Neuero errichtet worden. Dort hat man hauptsächlich zwei Größen gebaut. Der Typ VIII hatte eine innere Breite auf Höhe des Bodens von 8 m, Typ X war entsprechend 10 m breit. Außerdem sollen in Bahrain diese oder ähnliche Bunker gebaut worden sein. Für den unterirdischen Schutzraum haben sich, nach weiteren Angaben, keine Kunden gefunden.
Beim Aufbau der Anlagen im Ausland lag die Bauleitung üblicherweise in den Händen der deutschen Firmen. So wurden zu der Zeit auch von Neuero Mitarbeiter dorthin entsandt. Eine Zeitschrift zitierte 1991 einen Bauleiter, der 1983/84 im Irak gearbeitet hatte. In drei Monaten hatte man 100 Bunker montiert. Insgesamt sind in dem Land 150 Shelter vom Typ VIII, und 850 vom Typ X erstellt worden. Einige hatten an beiden Enden große Tore, um mit Fahrzeugen ohne Rangieren ein- und ausfahren zu können. Die Bauten bekamen eine Sandüberdeckung von 1,7 m Höhe.
In den Jahren 1990/91 lief im Irak der zweite Golfkrieg. Der Staat hatte im August 1990 Kuwait überfallen und besetzt. Im Folgejahr griff eine von den USA geführte Allianz den Irak an, um Kuwait zu befreien. Bereits vor Beginn der Kampfhandlungen sammelte der deutsche Bundesnachrichtendienst Informationen über die von deutschen Firmen im Irak errichteten Shelter ein. Darüber konnten man deren Standorte weitgehend komplett ermitteln. Die Daten sind dem amerikanischen CIA zur Verfügung gestellt worden. Es sollen auch Fachleute von Geheimdienst oder Militär vor Ort in Wilsum die Shelter untersucht haben.

Es liegen keine Angaben darüber vor, wann die Muster-Bauten errichtet wurden, und bis wann man sie als Vorführobjekte genutzt hat. Auf jeden Fall sind sie durch die Witterungseinflüsse der vergangenen Jahrzehnte heute nicht mehr vorzeigbar. Interessant ist ein aktueller Blick auf das Werk von Neuero in Emlichheim. Auf dem Betriebsgrundstück stehen zwei großen Stahlhallen, die stark an die Shelter in Wilsum erinnern. Sowohl die als Dach genutzten Rundbögen, als auch die mit Klammern verbundenen Stahlelemente an den Enden, haben den gleichen Ursprung.

 Zustand: 
Die Bauten in Wilsum haben die Jahrzehnte relativ unbeschadet überstanden. Allerdings hinterläßt die Korrosion inzwischen einige Spuren an den Stahlelementen.

 Zugang: 
Die zwei Standorte mit den Muster-Bauten sind zugänglich. Genauere Standortangaben werden hier allerdings nicht genannt, um den Zulauf unerwünschter Besucher nicht zu fördern.

 Hinweis: 
Auf dem YouTube-Kanal „Joscha und Dexter auf Tour“ sind die Wilsumer Objekte in bewegten Bildern zu sehen:
https://www.youtube.com/watch?v=rl_NVuwCuXI

Fotos:
Der Schutzraum:

Zugangsbau
Der Zugangsbau zum unterirdischen Schutzraum.

Abstieg
An dieser Seite ist die Schräge des Abstiegs zu sehen.

Dach
Die Ösen auf dem Dach zeugen von der Schnellbauweise.

Tür
Die Eingangstür mit der zur Zylinderform passenden Wölbung.

Klappe
Die Beobachtungsklappe kann mit einem Schutzgitter geschlossen werden.

Klappe
Alternativ der blickdichte Verschluß mit einer Stahlklappe.

Luke
Unterhalb eine runde Luke, möglicherweise für den Einsatz von Handfeuerwaffen.

Luke
Darauf der Firmenname Neuero.

Abstieg
Seitwärts der Abstieg zum Stollen.

Abstieg
Beim Musterbau liegt der Stollen nicht tief, es geht nur drei Stufen abwärts.

Stollen
Unten der schlichte Stollen, der Blick geht von einem Ende zum anderen.

Die Multi Purpose Shelter:

Shelter
Im Osten steht der größere Shelter.

Shelter
Er verfügt über eine Länge von ca. 30 m.

Front
An der Front ragt das Tor deutlich hervor.

Personeneingang
Der Personeneingang und links unten die Prallplatte vor einer Belüftungsöffnung.

Drehzapfen
Der Drehzapfen für das große Tor.

Klammern
Die Stahlelemente an der Front werden mit diesen Keilklammern verbunden.

Kamin
Am hinteren Ende ragt der Belüftungsschacht aus der Erdüberdeckung.
Shelter
Im Westen stehen zwei weitgehend baugleiche Shelter nebeneinander.
Shelter
Der rechts stehende mit Tor zeigt sich weitgehend komplett.
Tor
Ein näherer Blick auf das große vorgewölbte Tor.
Personeneingang
Hier befindet sich der Personeneingang rechts, darüber eine Belüftung.
Klammern
Auch an diesem Bunker wurden die Elemente mit Klammern verbunden.
Tor
Das Tor von der Innenseite. Mit dem Hebel Mitte unten wird im geschlossenen Zustand eine Dichtleiste angepreßt.
Halle
Die Anzahl der verbauten Rundbögen bestimmt die Länge der Halle.
Belüftung
Oben in der Rückwand die Belüftungsöffnung, von der ein Kamin zur Oberseite führt.
Kamin
Auf dem Bunker ist am hinteren Ende der Kamin zu finden.
Kamin
Blick ins Innere.
Stahlplatte
Der Boden der Bunker konnte mit solchen Stahlplatten ausgelegt werden.
Shelter
Der links stehende Shelter.
Tor
Bei ihm fehlt das große Tor. Unklar, ob nie vorhanden oder später entfernt.
Personeneingang
Auffällig ist an diesem Bau, daß hier die Elemente nicht mit Klammern verbunden, sondern verschweißt sind.
Rundbögen
Die Rundbögen schirmen die Vorderseite des Bunkers ein Stück weiter ab.
Front
Die Frontseite, erkennbar sind wieder Ösen für den schnellen Aufbau mit Kränen.
Front
Blick auf die Rückseite der Vorderfront.
Klammer
Hier eine Verbindungsklammer im Detail.
Spannspindel
Die Vorderfront ist über solche Schraubspindeln mit den Rundbögen verbunden.
Halle
Blick Innen Richtung Eingang.
Halle
Die entgegengesetzte Perspektive.
Belüftung
Oben wieder die Öffnung zum Entlüftungsschacht.
Kamin
Der Luftschacht auf dem Bunkerdach.
Länge
Erkennbar sind links die Front und rechts oben der Kamin. Mit nur 15 m sind diese Muster-Bauten recht kurz.
Quellenangabe:
- Quick 07.02.1991, Heft 7
- Neuero: Internationale Patentschrift Schutzraum WO 89/08179 vom 8. September 1989
- https://www.neuero-railtec.com/unternehmen/historie
- J. Rottmann
 
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