Bis
1945:
Die offizielle Bezeichnung der hier vorgestellten Anlage lautete Heeres-Munitionsanstalt
Bodenteich. Sie unterstand dem in Hannover beheimateten Feldzeug-Kommando
XI. Gebräuchlich gewesen ist die Kurzbezeichnung Muna Bodenteich.
Das
Objekt liegt im Süden des Landkreises Uelzen, 15 km südöstlich der Kreisstadt.
Heute verläuft der Elbe-Seitenkanal durch Bad Bodenteich und trennt das
Gebiet der Muna vom östlich des Kanals befindlichen Ortskern. Für den
Aufbau der Anlage wählte die Wehrmacht ein mit Nadelholz bewaldetes Gelände
mit eingestreuten Heideflächen am Südostrand der Wierener Berge aus.
Die Bäume sollten einen Sichtschutz gegen feindliche Luftaufklärung bieten.
Durch Bodenteich führt die Eisenbahnstrecke von Braunschweig Richtung
Uelzen. Seinerzeit war die Reichsbahn das wichtigste Transportmittel.
Für die Baumaßnahmen und den späteren Fertigungsbetrieb konnten somit
die Güter auf der Schiene direkt in die Liegenschaft an- und abgefahren
werden.
Die HMa entstand nur einige hundert Meter westlich des Bodenteicher Bahnhofs.
Das benötigte Gelände mußten die bisherigen Besitzer verkauften, zumindest
teilweise kam es dabei zu Zwangsenteignungen. Insgesamt vereinnahmte
die Anstalt rund 210 ha Grundfläche.
Der Ankauf erfolgte 1938, im Vorjahr des Kriegsbeginns. Daher konnte
der Betrieb erst deutlich nach Beginn des II. Weltkrieges aufgenommen
werden. Man hatte bis zu dessen Ende gegenüber den ursprünglichen Planungen
einzelne Objekte der Muna nicht mehr realisiert. Weitere befanden sich
am Ende des Krieges noch im Entstehen. Dieses war hauptsächlich durch
den späten Baubeginn begründet.
Alle Teile der Munitionsanstalt entstanden auf der Südseite
des Weges von Bodenteich nach Stadensen. Hier wurde die Haupteinfahrt
mit Pförtnerhaus angesiedelt, dahinter errichtete man die Bauten des
Verwaltungsgebietes. Vom Tor führt eine Straße gerade auf die große Kommandantur
zu, diese vereinnahmte auch zwei weitere Verwaltungsgebäude an den beiden
Seiten. Von dort weiter östlich entstand der obligatorische Garagenhof,
an drei Seiten davon stehen Fahrzeughallen und eine Werkstatt.
Weiter südlich wurden mit größeren Abständen die für den Betrieb der
HMa erforderlichen Nebenanlagen aufgebaut. Hier gab es ein Heizwerk zur
Versorgung der gesamten Anstalt. Der Arbeitsbereich hatte den größten
Bedarf an Wärme. Daher stand dieser Bau in der Nähe der Munitionsarbeitshäuser.
Über das hier liegende Eisenbahngleis konnte die benötigte Kohle angeliefert
werden. Am Südrand der Liegenschaft steht die Trafostation, über die
Strom aus dem öffentlichen Netz in die Muna eingeleitet worden ist. Für
die Versorgung mit Trink- und Brauchwasser gab es ein Haupt- und ein
Reservewasserwerk mit mehreren Brunnen. Die Abwässer leitete man zu einer
östlich außerhalb befindlichen Kläranlage. Von dort ging es weiter über
die kleinen Flüsse Aue bzw. Stederau in die Ilmenau.
Vom Haupttor Richtung Osten, entlang der Stadenser Straße,
ist das ausgedehnte Arbeiterlager gebaut worden. Hier sollten die zahlreichen
Arbeitskräfte und das Wachpersonal eine Bleibe bekommen. Ursprünglich
hatte man für das Führungspersonal der Muna eine kleine Wohnsiedlung
außerhalb der Anstalt geplant, gut 700 m östlich gelegen. Dort, an den
heutigen Straßen Waldweg und Forstweg, sollten 12 Wohnhäuser neu gebaut
werden, in denen der Kommandant, Offiziere, Feuerwerker und Stamm-Arbeiter
der Dienstelle mit ihren Familien recht modern wohnen konnten. Da dieses
Vorhaben jedoch nicht umgesetzt wurde, bekam das Führungspersonal seinen
Wohnraum sicherlich ebenfalls im Arbeiterlager der Muna.
Das Arbeitsgebiet entstand im Zentrum der Munitionsanstalt.
Es zeigte eine Standard-Auslegung mit fünf Munitionsarbeitshäusern, zwei
Handmunitionshäusern, einem Löthaus und einer Pechküche.
In den langgestreckten Munitionsarbeitshäusern (MAH) wurde die Munition
befüllt und schußfertig gemacht. Auch die Überprüfung bereits eingelagerter
Fertigprodukte hat man hier durchgeführt. In den Gebäuden befanden sich
üblicherweise Maschinen zur Bearbeitung bestimmter Munitionssorten. So
konnten je Arbeitshaus unterschiedliche Kampfmittel gefertigt werden.
In Heeres-Munitionsanstalten bekamen alle Bauten eine Typ-Kennziffer
aus der Raumbedarfsnachweisung (RBN). Diese bestimmte die Funktion des
Bauwerks, bei der baulichen Ausführung gab es allerdings Anpassungen
an den örtlichen Bedarf. In Bodenteich hat man drei MAH vom Typ 24 und
zwei MAH des Typs 24a errichtet. Einen Rückschluß auf die gefertigte
Munition lassen die Ziffern nicht zu, insbesondere da sich die Fertigung
im Lauf der Betriebszeit mehrfach ändern konnte.
Etwas abgesetzt standen zwei Handmunitionshäuser (RBN 26). Darin wurde
in je vier kleinen Räumen ein Handvorrat an Pulver, Kartuschen, Geschossen
und Zündern deponiert. Dieses war ein Zwischenlager für die anschließende
Verarbeitung in den MAH.
An kleineren Objekten im Umfeld der Arbeitshäuser ist zum einen das Löthaus
(RBN 25a) zu nennen. Die Zünder für die Munition sind meist in kleinen
Metallbehältern aufbewahrt worden. In dem Gebäude konnte man diese auflöten
und im Bedarfsfall wieder verschließen. Zum zweiten gab es eine Pechküche
(RBN 29). In dieser wurden Peche und Wachse für die Weiterverarbeitung
verflüssigt.
Außerdem befand sich in der Nähe ein Geräteschuppen (RBN 22) zur Unterstellung
von Maschinen des Arbeitsgebietes. Im Lagerhaus für feuergefährliche
Stoffe (RBN 25), kurz Öllager genannt, erfolgte die abgeschirmte Deponierung
brennbarer Schmier- und Betriebsstoffe. Eine übliche Ausstattung in Munitionsanstalten
war eine Hülsenreinigung (RBN 23), in der zurückgelieferte Granaten-
und Kartuschenhülsen wieder aufbereitet werden konnten. Für die Muna
Bodenteich ist eine solche nördlich der Arbeitshäuser geplant gewesen,
wurde aber nicht mehr realisiert.
Ebenfalls zum Arbeitsgebiet zählten die zahlreichen Lagerhäuser
(LH). Diese dienten unter anderem zur Aufbewahrung von Packmitteln, dementsprechend
hatte man sie auch als Packmittelschuppen bezeichnet. Nicht explosive
Munitionsteile konnten ebenso darin gelagert werden, beispielsweise leere
Hülsen. Mit Schwerpunkt standen die Lagerhäuser am Südostrand der Liegenschaft,
weitere verteilten sich über die restliche Fläche.
Es gibt die Bauform der kleinen Lagerhäuser (RBN 27a) mit 500 m² Nutzfläche.
Davon entstanden in Bodenteich 4 Exemplare. Daneben existieren die großen
Lagerhäuser (RBN 27) mit 1.000 m² Nutzfläche. Davon wurden in der hiesigen
Muna 18 LH gebaut. Die großen Lagerhäuser entstanden in drei unterschiedlichen
Formen. Mit 9 Bauten am häufigsten vertreten fand man die Bauform mit
einem angedeutet U-förmigen Grundriß. 5 LH zeigen einen Grundriß in Doppel-T-Form.
Weitere 4 LH mit 1.000 m² Nutzfläche weisen eine schlichte rechteckige
Auslegung auf. Letztere sind vermutlich in einer späteren Phase entstanden,
als aufgrund von Materialknappheit der bauliche Aufwand reduziert werden
mußte.
Ergänzend ist eine Planenhalle (RBN 28) zu nennen. Sie diente zur Aufbewahrung
von Abdeckplanen, die man bei Transporten und temporärer Lagerung im
Freien verwendete. Das Gebäude war höher ausgelegt als die üblichen Lagerhäuser.
Im Innenraum konnten nasse Planen zum Trocknen aufgehängt werden.
Das große Lagergebiet der Muna Bodenteich vereinnahmte die
westliche Hälfte der Liegenschaft. Laut vorliegendem Lageplan wollte
man mit einigem Sicherheitsabstand über die Fläche verteilt 92 Munitionsbunker
errichten. Luftbilder zeigen, daß bis zum Kriegsende nicht alle realisiert
worden sind.
Vorgesehen war die bauliche Ausführung dieser Munitionshäuser (MH) mit
massivem Mauerwerk und Stahlbeton. Die einzigen Öffnungen sind an der
Vorderseite ein bis drei Eingänge, und auf dem Dach Kamine zur Belüftung
gewesen. Die Bauten sollten mit Erde überdeckt werden, welche zum Schutz
gegen Fliegersicht eine Bepflanzung bekommen sollte. Letzteres hatte
man in mehreren Fällen nicht mehr umgesetzt.
Die kleinste Bauform der Munitionshäuser verfügte über nur 50 m² Nutzfläche.
Sie wiesen an ihrer Vorderseite einen Eingang auf. Diese Bunker vom Typ
RBN 30b dienten hauptsächlich zur Aufbewahrung von Zündern, die Bauten
sind daher auch als Zünderhäuser bezeichnet worden. Davon gab es in Bodenteich
12 Stück, eine Anzahl, die in Munitionsanstalten von Heer und Luftwaffe
sehr gängig ist.
Die höchste Anzahl an Munitionsbunkern gab es bei den großen Munitionshäusern
des Typs RBN 30a. Sie verfügten über zwei Eingänge und hatten eine Nutzfläche
von 200 m². Davon sollten 70 Exemplare entstehen, mindestens vier hat
man jedoch nicht mehr errichtet. Möglicherweise sind einige davon als
lediglich behelfsmäßige Munitionshäuser gebaut worden.
Ebenfalls unter die Bezeichnung Großes Munitionshaus fielen die Bunker
vom Typ RBN 30. Sie hatten drei Eingänge und eine Nutzfläche von 300
m². Davon soll es in der hiesigen Muna 10 Bauten gegeben haben.
Ergänzend sind die 5 Infanterie-Patronenhäuser zu nennen. Diese dienten
hauptsächlich der Lagerung von Patronen für Handfeuerwaffen.
Für das im Lagergebiet beschäftigte Personal waren die Wege zum Verwaltungsgebiet
zu weit. Daher baute man auf der Fläche drei als Gemeinschaftshäuser
bezeichnete Sozialgebäude, in denen unter anderem verpflegt werden konnte.
In deren Nähe gab es separat stehende Aborte.
Besondere Bedeutung in einem Betrieb der Munitionsfertigung
hatte der Brandschutz. Über das gesamte Gelände verteilt gab es 9 Löschwasserzisternen,
üblicherweise mit 150-180 m³ Kapazität. Meist standen daneben kleine
Schanzzeughäuser, sieben an der Zahl, in denen das Feuerlöschgerät aufbewahrt
wurde. Im Zentrum der Liegenschaft ist ein höherer hölzerner Feuerwachturm
aufgestellt worden.
Wie eingangs erwähnt, hatte man ausgehend vom Bahnhof Bodenteich ein
Anschlußgleis in die Liegenschaft gelegt. Innerhalb befand sich im östlichen
Bereich ein dreigleisiger Übergabebahnhof. Dort gab es einen Lokschuppen
zur Unterstellung der Muna-eigenen Rangierlokomotive vom Typ V36. Weitere
Strecken schlossen die Arbeitshäuser, mehrere Lagerhäuser und einige
Bunker im Lagergebiet unmittelbar an das Schienennetz an. Insgesamt wurden
rund 9 km Gleise verlegt.
Der Aufbau der Muna Bodenteich startete noch im Jahr 1938.
Das offizielle Richtfest für das gesamte Projekt war am 29. Oktober 1940.
Wann die eigentliche Munitionsproduktion begann, ist nicht überliefert.
Zumindest für die Jahre 1943 und 1944 gibt es Angaben. Dann lief die
Herstellung von infanteristischen Patronen für Karabiner und Maschinengewehre
mit dem Kaliber 7,92 x 57 mm. Insgesamt gut 1.000.000 dieser Art sind
gefertigt worden. Gleichzeitig füllte man Granaten für Artilleriegeschütze
im Kaliber 15 cm ab, Gesamtstückzahl 384.000. Parallel lief die Fertigung
der Stielhandgranaten Modell 24 und vermutlich auch Modell 43. Weitere
Quellen nennen Patronen 9 x 19 mm für Pistolen und Maschinenpistolen.
An Granaten die Kaliber 3,7 cm, 7,5 cm und 8,8 cm für Kampfwagen- und
Panzerabwehrkanonen sowie 10 cm Granaten für Feldkanonen. Außerdem Wurfgranaten
für Granatwerfer 8 cm und 10 cm. Insgesamt also ein sehr breites Spektrum an im Heer verwendeter Munition.
Während der abgenötigte Verkauf von Grundflächen von den betroffenen
Besitzern entsprechend nur ungern akzeptiert wurde, versprach sich die
Gemeinde Bodenteich von dem Rüstungsbetrieb eine Belebung der örtlichen
Wirtschaft. Das bestätigte sich schon in der Phase des Aufbaus, für den
hunderte Arbeitskräfte in den Ort zogen. Südöstlich an die entstehende
Munitionsanstalt angrenzend errichtete man für die Arbeitskräfte ein
Barackenlager, im Bereich der heutigen Hubertusstraße. Üblicherweise
ist die im Umfeld existierende Bauwirtschaft in den Aufbau einbezogen
worden.
Die Aufnahme des Fertigungsbetriebes erfolgte nach Beginn
des II. Weltkrieges. Dazu waren weitere Arbeitskräfte erforderlich. Durch
den Verlauf des Krieges ergab sich das Problem, daß vermehrt Männer zur
Wehrmacht eingezogen wurden, gleichzeitig die Produktion aber gesteigert
werden mußte. Man hat nun Frauen aus der Umgebung in der Produktion eingesetzt.
Dazu kamen dienstverpflichtete Frauen aus weit entfernten Gebieten, die
vor Ort unterzubringen waren. Dafür standen Kapazitäten im Arbeiterlager
der Muna beim Haupttor zur Verfügung.
Außerdem sind aus den von Deutschland besetzten Ländern Arbeitskräfte
eingezogen worden. Anfangs konnten noch auf freiwilliger Basis Fremdarbeiter
angeworben werden. Später verschleppte man Zwangsarbeiter ins Reichsgebiet.
Daneben kamen auch Kriegsgefangene zum Einsatz in der Rüstungsindustrie.
Für Bodenteich wird von der Anwesenheit von Polen, Tschechen, Serben
und Russen berichtet. Entsprechend der Rassenideologie der Nazis wurden
die Osteuropäer insbesondere für schwere körperliche Arbeiten, sowie
bei gefährlichen und gesundheitsschädlichen Tätigkeiten herangezogen.
Der Umgang mit Sprengstoffen bedeutete stets auch den Kontakt mit Chemikalien.
Als weitere Unterkunft für die Arbeitskräfte zog man das vormalige Lager
des Reichsarbeitsdienstes am Waldweg heran. Hier am Nordrand von Bodenteich
hatte zuvor die RAD-Abteilung 6/181 gelegen. Nun sind darin Osteuropäer
untergebracht worden.
Überliefert sind zwei Zahlen der in der Muna Bodenteich Beschäftigten:
im Jahr 1943 560 und 1944 520 Personen. Vermutlich sind darin das militärische
Personal und die Wachmannschaften nicht enthalten.
Die Existenz der HMa ist den Alliierten durch Luftaufklärung
bekannt gewesen. Auf Anlagen dieser Art sind im Allgemeinen jedoch keine
Bombenangriffe geflogen worden. Deren Prioritäten lagen zunächst noch
auf Verkehrsanlagen und Industrie. Es wird aber über den Abwurf von Brandbomben
am 7. Juli 1944 berichtet, die allerdings im Waldgebiet nördlich der
Muna niedergingen.
Am 25. März 1945 ereignete sich im Bahnhof des Ortes ein schweres Explosionsunglück.
Bereits seit mehreren Tagen stand ein Zug mit Pulver für die Muna in
der Station. Kurz nach 11:00 Uhr explodierte die Beladung von drei Waggons.
Die Ursache für das Unglück konnte nicht aufgeklärt werden, möglich ist
die Entzündung durch Funkenflug eines anderen Zuges. In und bei der Bahnstation
herrschte zu der Zeit ein reger Betrieb, zahlreiche Menschen waren anwesend.
Zirka 70 Personen kamen durch die Explosion ums Leben. Das Bahnhofsgebäude
und umliegende Bauten wurden vollständig zerstört, 161 weitere erlitten
mittlere bis schwere Schäden.
Eine besondere Einlagerung erfolgte Anfang 1945. Durch den
Vormarsch der Roten Armee fielen seit Herbst 1944 Gebiete in Polen in
deren Zugriff. Dort gab es einige vormals von der Wehrmacht genutzte
Stätten für die Produktion und Lagerung von Kampfstoffmunition. Insbesondere
die moderneren Kampfstoffe sollten dem Gegner nicht in die Hände fallen.
Es begann die Verlagerung in weiter westlich gelegene Objekte. Zu welchem
Zeitpunkt entsprechende Munition und Stoffe in Bodenteich eintrafen ist
nicht dokumentiert. Es wird aber für Anfang April 1945 vom geplanten
Abtransport von 4.500 t Sarin und Tabun berichtet. Schließlich näherten
sich zu der Zeit Verbände der Alliierten der Lüneburger Heide. Anscheinend
verblieben größere Mengen konventioneller Kampfmittel und Kampfstoffe
bis zur Besetzung durch die US Army in der Muna.
Der Fertigungsbetrieb in der Munitionsanstalt konnte bis zum Kriegsende
weitgehend aufrecht gehalten werden. Grundsätzlich bestand für alle vergleichbaren
Objekte ein Befehl, die Infrastruktur vor Heranrücken des Gegners zu
zerstören. In Bodenteich erfolgte jedoch nichts Diesbezügliches. So befand
sich die Anlage am Kriegsende in einem unversehrten Zustand.
Am 15. April 1945 traf ein anscheinend gemischter britisch-/US-amerikanischer
Kampfverband im Raum Bodenteich ein. Der vorausfahrende Spähtrupp war
von der British Army, das Hauptkontingent der Kampftruppen von der US
Army. Abgesehen von einigen Schußwechseln gab es keinen größeren Widerstand.
Am Folgetag besetzten die Truppen den Ort, so endete der II. Weltkrieg
für die Gegend.
Ab 1945:
Die Amerikaner beschlagnahmten in Bodenteich mehrere Häuser zur Einquartierung
ihrer Soldaten. Auch die Munitionsanstalt ist von Truppen besetzt worden.
Anfang Juni 1945 übernahm vereinbarungsgemäß die British Army die Liegenschaft,
ganz Niedersachsen war Teil der Britischen Besatzungszone. Weiterhin
nutzten sie beschlagnahmte Häuser im Ort für eine Kommandantur und
als Wohnraum. Militärische Einheiten bezogen die Bauten der Muna als
Truppenunterkunft.
Die Briten verwendeten die Lagerkapazitäten in den vollständig intakten
Munitionsbunkern und Lagerhäusern zunächst zur Deponierung von aufgefundener
deutscher Munition, auch von anderen Standorten. Schließlich erfolgte
deren Abtransport. Über die Vernichtung von Granaten durch Sprengungen
wird nicht berichtet. Wohl aber von der Verbrennung der Pulverbestände
auf einem Brandplatz zwischen Abbendorf und Schafwedel, vermutlich im
Sandbruch am Rütenberg. Es kam aber auf jeden Fall auch zur Entsorgung
von Munition durch Vergraben, zahlreiche Bodenfunde in späteren Jahrzehnten
zeugten davon.
Mit dem abnehmenden Bedarf an Lagerflächen stand anschließend die Zerstörung
von Munitionsbunkern, Lagerhäusern und Bauten im Produktionsbereich an.
Einige bereits nachgenutzte Bauwerke blieben stehen. Im Frühjahr 1948
zogen die Briten aus Bodenteich ab. Im Sommer 1949 erließen sie noch
die Anordnung, daß 40 weitere Gebäude in der Muna abgerissen werden müssen.
Anschließend sollten Teile der Liegenschaft als Notunterkunft
Verwendung finden. In den massiven Wohngebäuden des vormaligen Arbeiterlagers
neben dem Haupttor lebten zu der Zeit vorrangig ehemalige Fremd- und
Zwangsarbeiter aus den baltischen Staaten, jetzt als Displaced Persons
bezeichnet. Umgangssprachlich ist es vor Ort Lettenlager genannt worden.
Am 15. Januar 1949 konnte das Flüchtlingslager Bodenteich-Heide eingeweiht
werden. In zunächst sechs Bauwerken der Muna im östlichen Bereich zogen
nun Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten ein. Im Fall
der ehemaligen Kommandantur und benachbarter Häuser war die Umnutzung
noch einfach durchzuführen. Dagegen ergab der Umbau von ehemaligen Lagerhäusern
nur sehr provisorischen Wohnraum. Weiter westlich, im Bereich der heutigen
Straße Auf der großen Heide, bauten Vertriebene mehrere Kleine und Große
Munitionshäuser mit viel Aufwand zu Wohngebäuden um. Außerdem siedelten
sich in weiteren Produktions- und Lagerhäusern erste gewerbliche Betriebe
an.
Das lediglich aus Holzbaracken bestehende Arbeitslager am Südostrand
der Anstalt ist wohl wegen unzureichender Verhältnisse im August 1946
abgerissen worden. Insgesamt wohnten schließlich rund 500 Menschen in
der ehemaligen HMa Bodenteich.
Doch schon bald sollten sich für Bodenteich-Heide gravierende
Änderungen ergeben. Im März 1951 stellte die Bundesrepublik Deutschland
den Bundesgrenzschutz (BGS) auf. Die damalige innerdeutsche Grenze verlief
keine 6 km östlich von Bodenteich. So war es zweckmäßig, aus der ehemaligen
Heeres-Munitionsanstalt eine neue Garnison für die Grenzschützer zu schaffen.
Die gut erhaltenen Bauten in Verwaltungsgebiet und Arbeiterlager boten
brauchbare Räumlichkeiten. Die Gemeinde Bodenteich unterstützte das Vorhaben
nach Kräften. Für die bislang in den Bauten lebenden Einwohner mußten
nun neue Wohnungen gesucht werden.
Bereits ab dem 27. November 1951 befanden sich erste Grenzschützer
in der Liegenschaft. In dieser Zeit führte der BGS in Bodenteich in kleinem
Rahmen die Ausbildung von Sprechfunkern und Kradmeldern durch. Nun begann
der Ausbau der vorhandenen Infrastruktur für die Aufnahme einer kompletten
Abteilung. Am 13. August 1954 verlegte vom Standort Neu Tramm kommend eine erste Hundertschaft Grenzschützer in die nun BGS-Unterkunft Bodenteich
genannte Kaserne. Es war die 3. Hundertschaft der I. Abteilung der Grenzschutzgruppe
6, kurz 3./GSG 6.
Die ersten Jahre des Bundesgrenzschutzes sind von vielen Umorganisationen
geprägt gewesen. Insbesondere die Aufstellung der Bundeswehr führte 1956
zum Übertritt zahlreicher Grenzschützer in die neue Truppe. Die I/GSG
6 bildete den Rumpf für das Panzeraufklärungsbataillon 5 der Bundeswehr,
welches am 1. Juli 1956 in Hemer, Nordrhein-Westfalen zusammentrat. Über
Fritzlar erreichte dieser Verband 1962 seinen Endstandort Sontra in Hessen.
Dafür gab es auch in Bodenteich zahlreiche Abgänge, die Hundertschaft
bestand schließlich aus nur noch 40 Grenzschützern. Es begannen aber
sogleich Neuformierung und Aufwuchs. Zum 1. Dezember 1958 konnte in Bodenteich
der Aufbau der Grenzschutzabteilung II/6 mit vier Hundertschaften vollendet
werden.
Für eine dauerhafte Garnison war die Erweiterung der Infrastruktur
erforderlich. Bis 1965 entstanden mehrere weitere Objekte, wie Stabsgebäude,
Lehrsaalgebäude, zusätzliche Unterkunftsblöcke, Sanitätsbereich, Kleiderkammer
und ein neues Heizwerk. Ein Technischer Bereich mit Werkstätten und Abstellhallen
für die diversen Fahrzeuge der Einheiten, sowie Sporthalle und Sportplatz
rundeten die Ausstattung ab.
Der Bundesgrenzschutz ist zu Zeiten des Kalten Krieges deutlich militärischer
aufgestellt gewesen, als es der heutige Nachfolger Bundespolizei ist.
Somit verfügte der Standort Bodenteich über Objekte, die auch in Bundeswehr-Garnisonen
aufzufinden sind. Es gab innerhalb der Kaserne einen ABC-Übungsraum und
einen Kleinschießplatz für das Schießen mit Übungsmunition.
Der ehemalige Lagerbereich der Muna, der die westlichen 2/3 der gesamten
Liegenschaft umfaßte, konnte als Übungsfläche für die Gelände-Ausbildung
genutzt werden. Am Westrand des Areals baute man eine Schießanlage auf.
Anscheinend gab es zunächst kleinere provisorische Schießbahnen, von
denen heute noch Erdwälle aufzufinden sind. Bis 1965 entstand 200 m nördlich
eine moderne Schießanlage mit je einer Bahn für Kurzwaffen und Langwaffen.
In den Jahren der II. Abteilung GSG 6 befanden sich in Bodenteich einige
schwerere Waffen. Darunter sind geschützte Sonderwagen SW 2 mit Maschinenkanone
im Kaliber 20 mm gewesen. Ab 1966 müßten auch SW 3 vorhanden gewesen
sein. Dieses waren in Großbritannien gefertigte Spähpanzer vom Typ Saladin
mit einer 76 mm-Kanone. Außerdem gab es einige Panzerabwehrwaffen der
Typen Bazooka und Blindicide. Dazu kamen Granatwerfer 81 mm. Aufgrund
dieser Ausstattung mit größeren Kalibern mußte zur Deponierung der Munition
eine Munitionsniederlage gebaut werden. Sie befand sich an der Zufahrtstraße
zum Schießstand.
In den Jahrzehnten der Anwesenheit des BGS wurde auf der gesamten Fläche
mehrfach die Beseitigung von Altlasten durchgeführt. In den 1990er Jahren
hat man dabei die letzten Trümmer der gesprengten Munitionsbunker beseitigt.
Diese Maßnahmen gelten nicht als vollendet. Im Verkaufs-Exposé von 2012
werden innerhalb der Kaserne noch größere Bereiche als Kampfmittelverdachtsflächen
benannt.
Zum 1. Mai 1976 wurde die in Bodenteich beheimatete II/GSG
6 in eine neue Grenzschutz-Ausbildungsabteilung umgegliedert, die schließlich
die Bezeichnung GSA A Nord 1 erhielt. Damit schied der Verband aus der
Grenzschutzgruppe 6 aus, die Überwachung der innerdeutschen Grenze entfiel.
Der Auftrag wechselte zur Grundausbildung neu eingestellter Grenzschützer.
Dafür bot die hiesige Liegenschaft mit den vorhandenen Ausbildungseinrichtungen
alle Voraussetzungen.
In den folgenden Jahren lief der Ausbildungsbetrieb in Bodenteich ohne
größere Veränderungen. Allerdings mußte am 1. Oktober die vierte Hundertschaft
aufgelöst werden, fortan gab es derer drei. Der Fall der Grenze zur DDR
Ende 1989 zog für den Bundesgrenzschutz natürlich grundlegende Änderungen
mit gravierenden Reduzierungen nach sich. Zunächst konnte der Standort
Bodenteich noch einige Zeit bestehen. Den hiesigen Verband hat man am
1. April 1992 dem neuen Grenzschutzpräsidium Ost in Berlin unterstellt.
Im September 1998 kam aber schließlich das Ende für den Standort Bodenteich.
Die Kaserne war nun zwar geräumt, blieb aber noch viele Jahre
in Reserve im Bundesbesitz. Dementsprechend sind weiterhin Erhaltungsmaßnahmen
durchgeführt worden. Der Grund liegt in der relativen Nähe zum Atommüll-Lager
Gorleben, rund 50 km nordöstlich gelegen. Bis 2011 wurden Castor-Behälter
mit hochradioaktivem Atommüll dorthin gebracht. Während der diversen
Transporte gab es große Demonstrationen dagegen. Die Polizei nutzte während
dieser Ereignisse mehrere Kasernen im weiteren Umfeld als Stützpunkte.
Dieser Bedarf entfiel schließlich, ab 2012 bot die Bundesimmobilienverwaltung
die Liegenschaft zum Verkauf an. Im Februar 2015 erwarb ein Investor
aus dem Landkreis das Objekt. Im gleichen Jahr schloß das Land Niedersachsen
einen Mietvertrag für die gesamte Kaserne, um darin ein Flüchtlingscamp
zu betreiben.
Zustand:
Bis in die Gegenwart blieben diverse Gebäude aus Muna-Zeiten erhalten.
Bei den zivil genutzten Bauten hat sich allerdings durch die Nachnutzungen
eine teils gravierende Veränderung des Erscheinungsbildes ergeben.
Dagegen steht in der ehemaligen BGS-Kaserne eine größere Anzahl Bauwerke,
die weiterhin ihr ursprüngliches Aussehen zeigen. Insbesondere das
von Außerhalb einsehbare Arbeiterlager weist eine sehr repräsentative
Architektur auf.
Im westlichen Lagergebiet sind heute keine nennenswerten Spuren aufzufinden.
Dort zeugt lediglich der Rest der Schießanlage von der Nutzung durch
den Grenzschutz.
Zugang:
Die größere Fläche der früheren Munitionsanstalt Bodenteich kann als
Naherholungsgebiet frei begangen werden, natürlich ausgenommen die
Privatgrundstücke. Die
ehemalige BGS-Kaserne im Osten ist dagegen komplett abgesperrt und
nicht zugänglich. Sie kann aber von außen zum Teil gut eingesehen werden.
Hinweis:
Im Burgmuseum Bodenteich widmet sich ein Teil der Ausstellung der Muna:
https://www.burgmuseum-bodenteich.de
Das benachbarte Museum Deutsche Einheit dokumentiert unter anderem den
örtlichen BGS-Standort:
https://www.grenzmuseum-bodenteich.de
Der Förderkreis Burg Bodenteich hatte 2011 ein Heft über die
Munitionsanstalt herausgebracht:
Titel: Die Heeresmunitionsanstalt (MUNA) in Bodenteich
Autoren: Harro Blunk, Edmund Gähring
ISSN: 1617-3791
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Blick
aus der Vogelperspektive mit Google Maps:
Fotos:
Die frühere Haupteinfahrt zur Muna Bodenteich.
Das linke Torgebäude, der Grenzschutz hatte hier die Fernsprechvermittlung
untergebracht.
Das große Hauptgebäude der Kommandantur.
Es trägt heute die Nummer 36. Über dem Eingang Wappen und Schriftzug
der 1./GSA A Ost.
Am Südrand blieb die Trafostation für die Stromversorgung aus dem öffentlichen
Netz stehen.
Der ehemalige Lokschuppen ist grundlegend zum Wohnhaus umgebaut worden.
Eine von sechs weitgehend baugleichen Unterkünften im Arbeiterlager.
Die Vorderseite einer weiteren Unterkunft.
Seitenansicht des gleichen Gebäudes.
Dieser Bau steht unmittelbar am Kasernenzaun und kann somit sehr gut
betrachtet werden.
Ebenso dieser Block.
Die Giebel des Dachgeschosses bekamen bei jeder Unterkunft eine im Detail
individuelle Fassade mit Backsteinen.
Das große Wirtschaftsgebäude des Arbeiterlagers.
Im Arbeitsgebiet stehen heute noch zwei Munitionsarbeitshäuser des Typs
RBN 24.
Das zweite MAH Typ 24.
Dieses MAH vom Typ 24a ist durch Anbauten kaum noch erkennbar.
Die ehemalige Pechküche der Muna ist heute ein Wohnhaus.
Innerhalb der späteren Kaserne steht dieser Geräteschuppen.
Das frühere Lagerhaus für feuergefährliche Stoffe dient heute zu Wohnzwecken.
Das einzige heute noch erhaltene Kleine Lagerhaus mit 500 m² Nutzfläche.
Es wurde für Nachnutzungen baulich verändert.
Dieses Große Lagerhaus mit 1.000 m² Nutzfläche zeigt eine ansehnliche
bauliche Gestaltung.
Der Grundriß ist annähernd U-förmig ausgelegt.
Bei weiteren LH gleicher Bauform ist auf diesen Fotos der Grundriß nicht
erkennbar.
Auch dieses LH ist in gleicher Form entstanden.
Hier hat man für gewerbliche Nachnutzung den Bau deutlich verändert.
Von einem abgerissenen LH blieb die große U-förmige Bodenplatte erhalten.
Die zweite Art eines Großen Lagerhauses hat den Grundriß in Doppel-T-Form.
Dieses Gebäude fiel in der jüngeren Vergangenheit einem Brand zum Opfer.
Die hölzernen Tore an der Front.
Von einem weiteren LH gleicher Bauart blieb nur der westliche Flügel
stehen.
Dritte Bauform der Großen Lagerhäuser ist diese schlicht gestaltetet
Bauweise.
Dieses wird bis heute gewerblich genutzt.
Nach dem Krieg wurde dieses Kleine Munitionshaus zum Wohnhaus umgebaut.
Von den zahlreichen Bunkern des Typs Großes Munitionshaus gibt es kaum
Reste. Hier der frühere Standplatz eines MH mit 200 m² Nutzfläche.
Selbst die Reste von Steinen und Beton sind nur noch an wenigen Stellen
aufzufinden.
Ein Backstein zeugt von der gemauerten Bauweise der Großen Munitionshäuser.
Hier ein grundlegend umgebautes Großes Munitionshaus mit ehemals 300
m² Nutzfläche.
Auch aus diesem früheren Infanterie-Patronenhaus entstand ein Wohnhaus.
Dieser Bau war ein kleines Gemeinschaftshaus der Muna Bodenteich.
BGS-Übungsgelände:
Das Übungsgelände des Bundesgrenzschutzes wies neben Wald auch Heidefläche
auf.
So hatte man früher das Übungsgelände gekennzeichnet.
Provisorische BGS-Schießanlage:
Am Westrand zeugen mehrere Erdwälle von einer ersten Schießanlage.
Das Objekt war anscheinend nur als Provisorium angelegt.
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