Bis
1945:
Die hier vorgestellte Anlage hat eine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte.
Sie wurde durch das in Hannover beheimatete Wehrkreiskommando XI als Heeresmunitionsanstalt
Dannenberg begonnen, aber nicht vollendet. Da das Heer schließlich keinen
Bedarf für das Objekt hatte, ist es an die Luftwaffe gewissermaßen ausgeliehen
worden. Im offiziellen „Anschriftenverzeichnis der Feldzeugdienststellen“
hieß es dazu knapp: „H.Ma. Dannenberg - für Kriegsdauer an Luftwaffe abgegeben“.
Sie lag nun im Gebiet des Luftgaukommando XI, ansässig in Hamburg.
Gebräuchlich waren seinerzeit die Namen Muna Dannenberg und Muna Karwitz.
Erst nach dem II. Weltkrieg wurde die Bezeichnung Muna Neu Tramm üblich.
Dieser Ortsname entstand durch die zivile Besiedlung des Arbeitslagers
und des ehemaligen Verwaltungsbereiches der Munitionsanstalt.
Für
die Errichtung der Heeresmunitionsanstalt wurde eine Fläche rund 5 km
südlich von Dannenberg ausgewählt. Nördlich des Geländes befinden sich
die Dörfer Tramm und Riekau, südlich liegt Breselenz. Das Gebiet war
dicht mit Wald bestanden, dadurch ergab sich eine gute Tarnung gegen
Fliegersicht. In nur 500 m Entfernung führt die Eisenbahnstrecke von
Dannenberg nach Lüchow vorbei. Für die Errichtung einer Muna war dies
seinerzeit eine unbedingt nötige Voraussetzung. Allerdings ist hier ein
direkter Anschluß ins Werksgelände Eisenbahn-technisch nicht möglich
gewesen. Es hätte ein Höhenunterschied von 25 m überwunden werden müssen.
Daher entstand später ein 2,7 km langes Anschlußgleis vom Bahnhof Karwitz,
der an der Strecke von Dannenberg nach Uelzen liegt.
1938 erfolgte auf Veranlassung des Heeresbauamtes die Erkundung des Geländes.
Im Folgejahr begannen die Bauarbeiten. Im Regelfall errichtete man die
Gebäude einer Munitionsanstalt weitgehend in standardisierter Form. Es
wurde aber auch die örtlich übliche Bauweise berücksichtigt; hauptsächlich
um den Anstalten zur Tarnung eine ziviles Erscheinungsbild zu geben.
Im Falle der Muna Dannenberg entstand aus gleichem Grund allerdings ein
aufwendiges Unikat. Im umgebenden Wendland gibt es mehrfach die Gestaltung
von Dörfern als Rundling. Dabei stehen die Häuser in Sternform um einen
runden Platz. Für den Verwaltungsbereich der Dienststelle wählte man
eben diese Grundform. Auch die einzelnen Gebäude in diesem Teil zeigen
eine gefällige Gestaltung mit Fachwerk und roten Backsteinen. Bereits
1940 waren die Bauten im Rundling größtenteils fertiggestellt. Die Feldzeugverwaltung
des Oberkommandos des Heeres besichtigte im
Frühjahr 1942 die Muna. Aufgrund der schönen Gestaltung der Anlage äußerte
sie sich dahingehend, daß man nach dem Krieg das Objekt als Erholungsheim
für die Feldzeugtruppe nutzen möchte.
Diverse weitere Funktionsgebäude, wie Betriebsgebäude, Arbeitshäuser
und Lagerhallen, bekamen ebenfalls ein ziviles Aussehen. Vermutlich erst
später errichtete Lagerhallen waren dagegen nüchterne Zweckbauten. Die
Munitionsbunker hatte man in Standardbauweise ausgeführt.
Im Norden der Liegenschaft befand sich das Haupttor, dahinter der erwähnte
Verwaltungsbereich. Hier standen die Kommandantur, Unterkünfte, Kantine
sowie weitere für den Betrieb der Anlage erforderliche Einrichtungen.
Weiter Richtung Süden schloß der Arbeits- und Lagerbereich an. Hier wurden
einzelne Arbeitshäuser und zahlreiche Lagerhäuser gebaut. Auch die Munitionsbunker
waren in diesem Bereich bis hin zur südlichen Grenze des Geländes geplant.
Allerdings sind nur wenige davon tatsächlich errichtet worden. Sie waren
entsprechend ihres Ursprungs in der Bauweise des Heeres ausgeführt. Luftwaffentypische
Bunker fand man hier nicht. Soweit ermittelbar, hat man in der Anlage
große Munitionshäuser (MH) mit knapp 300 m² Nutzfläche gebaut. Sie verfügten
über drei Eingänge und erhielten eine Erdüberdeckung, die zur Tarnung
bepflanzt wurde. Ein Lageplan zeigt lediglich 20 MH, eine für Muna äußerst
geringe Zahl. Demgegenüber
fällt die hohe Zahl von 50 Lagerhäusern auf. Dieses wird im Zusammenhang
mit der später geänderten Nutzung gestanden haben. Anscheinend sind in
vielen Fällen auf den für Munitionshäuser geplanten Standplätzen Lagerhäuser
errichtet worden. Diese unterschieden sich von den älteren durch eine
sehr schlichte Bauform.
Das komplette Areal wurde eingezäunt. Es umfaßte rund 180 ha Grundfläche.
Ein Straßennetz erschloß das Gelände. Straßen und Gleise hatte man teilweise
mit Tarnmatten gegen Fliegersicht abgeschirmt.
Nach Beginn des II. Weltkrieges hat man die Bauarbeiten nur
unregelmäßig fortgeführt, zeitweilig fanden gar keine Aktivitäten statt.
Während im Norden die Gebäude weitgehend vollendet wurden, blieben im
Südteil zahlreiche Bauten im Status der Planung oder der Vorarbeiten
stecken. Das Heer hatte erkennbar keinen Bedarf mehr für diese Munitionsanstalt.
Ende 1941 trafen erste Soldaten der Luftwaffe in der Muna ein. Anschließend
erfolgte der eingangs beschriebene Wechsel der Unterstellung vom Heer
zur Luftwaffe. Die Bezeichnung änderte sich später in Luft-Munitionsanstalt z.b.V. Karwitz.
Vermutlich hat man den Ortsnamen ausgetauscht, um den Unterstellungswechsel
zu verdeutlichen. 1942 wurden noch laufende Bauarbeiten eingestellt.
Eine Munitionsproduktion im eigentlichen Sinne ist auch unter Verantwortung
der Luftwaffe in Karwitz nicht aufgenommen worden. Anfang 1943 begann
die vorübergehende Einlagerung von Abwurfbehältern für Verpflegung in
größerer Zahl. Bis September wurden sie wieder fortgeschafft. Das für
die Logistik bedeutende Manko der fehlenden Anbindung an die Eisenbahn
hat man im Mai 1943 angegangen. Nun begann der Bau des Anschlußgleises
zum Bahnhof Karwitz. Im Dezember konnten erste Züge fahren, es ist aber
noch einige Monate weiter daran gebaut worden. Die Dienststelle bekam
im Oktober eine eigene Rangierlokomotive zugewiesen, eine Diesellok der
Bauart WR 200B.
Im Dezember 1943 begann eine neue und bedeutende Phase in
der Luftmuna Karwitz. Seit Mitte 1942 lief bei den Fieseler-Werken in
Kassel die Entwicklung des Marschflugkörpers Fieseler Fi 103. Zur Flugerprobung nutzte man unter anderem die Erprobungsstelle der Luftwaffe
Peenemünde-West in Mecklenburg-Vorpommern. Das Propagandaministerium
der Nationalsozialisten schuf für das Waffensystem die Bezeichnung V1
(Vergeltungswaffe 1). Umgangssprachlich wurde seinerzeit auch die Bezeichnung
„Flügelbombe“ genutzt.
Der Einsatz der Flugkörper erfolgte durch die Luftwaffe. Diese forderte
eine Produktion von monatlich 5.000 Exemplaren, später monatlich 9.000
– Zahlen, die bei weitem nie erreicht wurden. Die Fieseler-Werke waren
am Standort Kassel ohnehin nicht in der Lage, solch große Stückzahlen
zu liefern. So zog man weitere Industriebetriebe heran. Das Volkswagenwerk
in Wolfsburg sollte größter Produzent der Fi 103 werden. Aufgrund der
in den letzten Jahren des II. Weltkrieges stark ansteigenden Gefährdung
und Zerstörung der Industriewerke durch Bombardierungen der Alliierten,
wurde das Ausweichen in weniger exponierte Anlagen vorangetrieben. Unter
anderem wich man in die sehr große Untertageverlagerung im Kohnstein
bei Nordhausen in Thüringen aus. Auch die Luftwaffe selbst sollte eine
eigene Produktion durchführen und Lagerkapazitäten bereitstellen. Dazu
bestimmte man die Luft-Munitionsanstalt z.b.V. Karwitz, sowie,
rund 50 km weiter nördlich, die Luft-Munitionsanstalt 7/XI in Pulverhof,
bei Rastow in Mecklenburg-Vorpommern.
In der Muna Karwitz führte man die Montage von aus der Industrie
angelieferten Komponenten zu vollständigen Flugkörpern durch. Außerdem
sollte hier die Deponierung fertiger V1 bis zur Auslieferung an die einsetzenden
Verbände erfolgen können. Dementsprechend wurden nun die zahlreichen
größeren Hallen für Produktion und Lagerung genutzt. Die Sprengköpfe
der Fi 103 hatte man in den vorhandenen Munitionsbunkern bereitgehalten.
Der erste scharfe Einsatz von V1 erfolgte am 13. Juni 1944. Dabei wurden
von Nordfrankreich aus zehn Flugkörper auf die britische Hauptstadt London
abgefeuert. Bis zum März 1945 hatte die Wehrmacht ca. 12.000 Marschflugkörper
hauptsächlich gegen Ziele in Großbritannien und Belgien gestartet. Die
Fi 103 verfügte über eine Reichweite von etwa 290 km. Über alle Fertigungsstätten
hinweg wurden im Jahr 1944 23.748 V1 hergestellt. Insgesamt waren es
bis zum Kriegsende 32.796 Flugkörper.
Aufgrund der überhasteten Entwicklung war die Fi 103 nicht ausgereift.
Zahlreiche Exemplare erreichten ihr Ziel nicht, einige stürzten bereits
nach kurzer Flugzeit ab. Verbesserungen flossen immer wieder in die Serienfertigung
ein. Die Weiterentwicklung lief u.a. in Peenemünde, bis der Standort
Im Frühjahr 1945 wegen der anrückenden Roten Armee aufgegeben werden
mußte. Man wich an andere Orte aus, darunter auf den Schießplatz
Altenwalde. Dort begannen am 16. Februar 1945 Versuche mit einer reichweitengesteigerten
Version, die 500 km fliegen sollte. Diese Arbeiten wurden bis April 1945
fortgeführt. Der letzte scharfe Einsatz einer V1 erfolgte aber bereits
am 30. März 1945 gegen die Stadt Antwerpen in Belgien.
Karwitz wurde zu einem wichtigen Standort für eine Abwandlung
auf Basis der Fi 103. Aufgrund der geringen Treffer-Genauigkeit entstand
die perverse Idee, daß ein Pilot im Flugkörper sitzen könnte. Dieser
sollte die Waffe gezielt in das gegnerische Ziel lenken – und sich dabei
selbst opfern! Bereits 1943 begannen Planungen für das „Projekt Selbstopfer
(SO)“. Man sah hauptsächlich vor, bei der erwarteten Invasion der Alliierten
in Nordfrankreich mit diesen Angriffen gezielt Schiffe versenken zu können.
Anfang 1944 traten Freiwillige zusammen, um eine Einheit für den Einsatz
zu bilden. Sie wurde die 120 Mann starke 5. Staffel - auch Leonidas-Staffel
genannt - des Kampfgeschwaders 200, stationiert auf dem Einsatzhafen
Dedelstorf.
Die technische Entwicklung der bemannten V1 begann Ende Juli 1944, somit
bereits nach der am 6. Juni erfolgten Landung der Alliierten in Frankreich.
Der ursprüngliche Sinn war also schon entfallen. Trotzdem begann man
im Henschel-Werk am Flugplatz Schönefeld bei Berlin mit dem Vorhaben.
Die vom restlichen Betrieb abgeschirmten Arbeiten erfolgten unter dem
Tarnnamen „Segelflug Reichenberg GmbH“. Die Flugkörper erhielten dementsprechend
die Bezeichnung „Reichenberg-Gerät“. Es gab verschiedene Ausführungen
mit den Kürzeln Re 1 bis Re 5. Darunter waren antriebslose Versionen,
die der Pilotenschulung dienen sollten. Die Einsatzvariante war die Re
4a.
Bereits seit September 1943 war die Möbelfabrik Laabs, bzw. WILAGO, als
„Montagewerk Meißen“ in der Fertigung von Zellen für die Fi 103 tätig.
Die Bezeichnung diente wieder der Verschleierung. Das Werk befand sich
nicht in der sächsischen Stadt, sondern in Gollnow/Pommern, heute Polen.
Dort hat man ab November 1944 die Re 4a gefertigt. Vermutlich wurden
diese an die Muna Karwitz geliefert. Hier erfolgte die Einlagerung für
die Truppe sowie die Montage weiterer Reichenberg-Geräte. Auch der Einbau
des Sprengkopfes wird hier geschehen sein.
Entsprechend der Verantwortlichkeit für die Reichenberg, übernahm am
31. Januar 1945 die SS die Kommandogewalt in der Muna Karwitz. Aber schon
am 10. März kam das Ende für diese Selbstopfer-Waffe. Sie erfuhr nie
einen scharfen Einsatz.
Daneben gab es in der hiesigen Liegenschaft weitere besonders moderne
Waffen. Fotos, die nach Kriegsende entstanden, zeigen verpackte Lenkbomben
Fritz X in der Muna. Unklar ist, ob diese in Karwitz montiert oder nur
gelagert worden sind. Diese Bomben wurden auch in der Luftmuna
Hesedorf aufgefunden.
In den verschiedenen Nutzungsphasen der Muna Karwitz war hier
Personal mit unterschiedlicher Zahl und Herkunft tätig. In der Aufbauzeit
sind es noch vorrangig deutsche Bauarbeiter gewesen. Nicht Ortsansässige
mußten im Umfeld untergebracht werden. Dafür errichtete man vor dem Haupttor
ein Barackenlager. Später kam südlich der Anstalt bei Breselenz ein weiteres
Arbeitslager hinzu. Einige Zivilarbeiter wurden auch bei Landwirten untergebracht.
Militärisches Personal wohnte im Unterkunftsbereich hinter dem Haupttor.
Hier war aber nicht genug Platz für den gesamten Bedarf. Daher hat man
eine Luftnachrichtenkompanie und eine Transportkompanie in das Barackenlager
Breselenz ausquartiert.
Nach Beginn des II. Weltkrieges ist vermehrt deutsches Personal zur Wehrmacht
eingezogen worden. An ihre Stelle traten Kräfte aus den von Deutschland
besetzten Gebieten. Zunächst konnten noch Freiwillige angeworben werden,
später hat man verstärkt Druck und schließlich Zwang ausgeübt. Überliefert
ist, daß zunächst rund 100 Polen hier als Bauarbeiter eingesetzt waren.
Mit den neuen Baumaßnahmen im Jahre 1943 werden 550 dienstverpflichtete
Russen und 270 Italienische Militärinternierte genannt. Ab März 1944
sollen insgesamt rund 2.000 Männer und Frauen in der Muna beschäftigt
gewesen sein.
Über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter ist kaum etwas
bekannt. Üblicherweise wird die Versorgung insbesondere der Russen ungenügend
gewesen sein. Einige Kräfte verstarben und wurden auf einem kleinen Friedhof
am Rande der Muna beerdigt. Bis in die Gegenwart ist die kleine Kriegsgräberstätte
in der Nordostecke des Geländes erhalten.
Über die gesamte Zeit erfolgten keine Bombardierungen der
Liegenschaft. Das lag aber nicht daran, wie oft behauptet, daß die Muna
aufgrund ihrer guten Tarnung nicht gefunden wurde. Die Alliierten haben
auf fast keine Munitionsanstalt Angriffe geflogen. Sie hatten sich auf
Verkehrswege und zivile Anlagen der Rüstungsindustrie konzentriert. Allerdings
wird ihnen nicht bekannt gewesen sein, daß in Karwitz die V1 gefertigt
und gelagert worden ist.
In den letzten Monaten des II. Weltkrieges deutete sich auch
in der Muna das Ende an. Im Februar 1945 trafen Techniker ein, die aus
Peenemünde evakuiert worden sind. Die Zulieferung von Material kam immer
mehr ins Stocken, sodaß im März die Produktion eingestellt werden mußte.
Am 9. April zogen die Techniker und die SS ab. Am 17. des Monats erging
für den größten Teil des militärischen Personals ein Marschbefehl zur
Luft-Munitionsanstalt 5/XI nach Kropp in Schleswig-Holstein. Ein Nachkommando
blieb in Karwitz. Es sollte den Befehl zur Zerstörung der Anlage umsetzen.
Nach der Sprengung einer Halle verzichtete der Kommandant aufgrund der
erheblichen Auswirkungen auf weitere Sprengungen.
Am 23. April 1945 marschierten Einheiten der 5th Armored Division der
US Army ohne Gegenwehr in das Gebiet Dannenberg ein und beendeten damit
den II. Weltkrieg für die Anstalt.
Ab 1945:
Die Amerikaner hatten inzwischen bereits das Untertagewerk bei Nordhausen
erreicht, wo ihnen zahlreiche V1 und V2 samt Produktionsanlagen in
die Hände fielen. Auch in der Muna Karwitz begann die US Army mit der
Sichtung der Waffen. Sie fanden die enorme Menge von ca. 700 Fi 103
in allen Zuständen, von lediglich Teilen bis versandfertig. Insbesondere
die Reichenberg-Geräte erregten das Interesse. 54 Reichenberg 4a und
einzelne Schulmaschinen waren aufzufinden. Außerdem gab es hier diverse
Lenkbomben Fritz X. Viele Teile wurden zügig Richtung USA abtransportiert.
Im Mai 1945 übergab die US Army die Liegenschaft an die British
Army. Die stationierte ein Bataillon des Middlesex Infantry Regiment
mit rund 300 Soldaten in der Munitionsanstalt. Auch die Briten transportierten
brauchbare Reste von Fi 103 und Re 4a in ihre Heimat ab. In der zweiten
Hälfte des Jahres 1945 bekam eine zivile Firma aus Dannenberg den Auftrag,
in der Liegenschaft grundlegend aufzuräumen. Der zusammengetragene Metallschrott
sollte nach Großbritannien verbracht werden.
Noch im Mai des Jahres verlegten die Briten eine Instandsetzungseinheit
nach Karwitz. Es war die No 3 Medium Workshop Company REME (Royal Electrical
and Mechanical Engineers) mit 200 Soldaten. Die zahlreichen unversehrten
Werkstätten und Lagerhäuser der Muna dienten fortan als Reparaturwerk
für im Krieg beschädigte Militärfahrzeuge. Dabei wuchs die Truppe auf
bis zu 600 Soldaten plus mehrere hundert deutsche Zivilarbeiter an. Hier
konnten also auch Deutsche eine erste Beschäftigung in der Nachkriegszeit
finden.
Im November 1946 zogen die Infanterie und der größte Teil der Instandsetzer
ab. Es blieb aber in Karwitz ein keines Detachment der REME mit 12 Soldaten
stationiert. Ergänzt wurden sie durch ca. 500 deutsche Arbeiter. Anfang
1947 begann das Detachment mit dem Neuaufbau von Geländewagen Willys
MB, bekannt als Jeep, aus Teilen von beschädigten Fahrzeugen. Pro Woche
konnten 50 neue Jeeps abgeliefert werden. Der An- und Abtransport erfolgte
wieder über das Anschlußgleis der Muna. Langsam entfiel der Bedarf an
den Geländewagen. Nach insgesamt ca. 5.000 Exemplaren hat man die Produktion
eingestellt. Am 1. April 1949 wurde das Detachment aufgelöst und die
Soldaten abgezogen. Anschließend begann die Demontage der Munitionsanstalt.
Lagerhäuser sind abgerissen und Munitionsbunker gesprengt worden. Auch
die Anschlußbahn von Karwitz wurde demontiert, die Straßen im Südteil
entfestigt. Die meisten Bauten im Norden blieben
jedoch stehen.
Aus dem Barackenlager neben dem Haupttor waren inzwischen
die Fremd- und Zwangsarbeiter, soweit möglich, in Ihre Heimat zurückgekehrt.
So konnten ab Sommer 1945 Vertriebene aus den ehemals deutschen Ostgebieten
darin untergebracht werden. Im Dezember des Jahres hatten hier 439 Menschen
eine neue Bleibe gefunden. Damit entstand der Ort Neu Tramm.
Nach der Demontage stand auch die Munitionsanstalt leer. Am 1. Dezember
1949 wurde das Gelände an den Landkreis Lüchow-Dannenberg übergeben.
Nun konnten die vormaligen Unterkünfte als Wohnungen dienen. In den Hallen
siedelten sich gewerbliche Betriebe an. Östlich neben dem Haupttor übernahm
das Trikotagenwerk Schmitz ehemalige Muna-Bauten, in denen zahlreiche
neue Arbeitsplätze entstanden. Im Stabsgebäude der Anstalt richtete das
DRK 1950 ein Kinderheim ein. Im Juni des Jahres hatte der Ort Neu Tramm
468 Einwohner.
Ein interessanter Aspekt betraf die beiden Hallen, in denen heute das
Feuerwehrmuseum untergebracht ist. Ab 1950 wurde darin für einige Jahre
ein Lager für die nationale Getreidereserve betrieben. Man hatte also
schon zu der Zeit wieder Notvorräte angelegt.
Im März 1951 stellte die Bundesrepublik Deutschland den Bundesgrenzschutz
(BGS) auf. Der Landkreis Lüchow-Dannenberg bemühte sich sogleich, daß
der BGS Einheiten in Neu Tramm stationieren solle. Die Lage, bei der
nördlich, östlich und südlich von hier die Innerdeutsche Grenze verlief,
ließ den Wunsch sinnvoll erscheinen. So traf es auch auf Zustimmung beim
Innenministerium.
Das hatte dementsprechend zur Folge, daß die zivile Nutzung der Liegenschaft
wieder aufgegeben werden mußte. Alle Bauten innerhalb der früheren Muna
wurden geräumt. Lediglich das Trikotagenwerk blieb wegen seiner wirtschaftlichen
Bedeutung erhalten. Das Barackenlager blieb zunächst noch als Wohnraum
erhalten. Zwischen 1962 und 1967 lief langsam die Absiedelung der Bewohner
auch aus diesem Lager. Die Baracken entsprachen ohnehin nicht mehr den
damals üblichen Wohnstandards. Auf einem Teil der Fläche entstanden anschließend
zwei Blocks mit Bundesmietwohnungen.
Die ehemalige Muna erfuhr nun auch baulich einige Veränderungen. Der
Zaun wurde in weiten Teilen neu errichtet und schirmte nur die Kaserne
im Norden der Liegenschaft ab, mit 54 ha Fläche.
Dabei ist das Trikotagenwerk ausgeklammert worden. Eine neue Hauptzufahrt
mit neuem Wachgebäude entstand. Einzelne Bauten aus Muna-Zeiten hat man
erst jetzt fertiggestellt. Weitere neue Gebäude entstanden. Der südliche
Bereich diente dem BGS nun als Übungsgelände und erstreckte sich über
121 ha. In dem Bereich wurde eine Standortschießanlage aufgebaut. Vermutlich entstand
in dem Zusammenhang auch die benachbarte Halle 36. Südlich abgesetzt
legte man einen Handgranatenwurfstand an.
Das Bundesministerium des Innern verfügte am 12. Dezember 1951 die Aufstellung
einer „Lehrabteilung für die SW- und Kradmeldezüge“ im Bereich des Grenzschutzkommandos
Nord mit Standort Neu Tramm. Sie sollte die Ausbildung der mit Sonderwagen
auszustattenden geschützten Züge des BGS durchführen. Als geschützte
Sonderwagen dienten zu der Zeit dreiachsige Spähwagen M8 Greyhound, die
aus Beständen der US Army stammten. Ab Anfang 1952 trafen schrittweise
Personal und Sonderwagen in Neu Tramm ein. Der Auftrag war von vorne
herein nur für einen kurzen Zeitraum geplant. Bereits im Januar 1953
erfolgte die Auflösung der Abteilung.
In Neu Tramm zogen aber gleich Nachfolger ein. Die ersten Jahre beim
Bundesgrenzschutz waren von zahlreichen Umorganisationen und Verlegungen
geprägt. Am 14. Januar 1953 traf von Dedelstorf kommend die Grenzschutzabteilung
Nord I in Neu Tramm ein. Am 1. April des Folgejahres erhielt der Verband
die Bezeichnung I. Abteilung der Grenzschutzgruppe 6.
Große Veränderung im Bundesgrenzschutz brachte die Aufstellung der Bundeswehr.
Zahlreiche Angehörige des BGS wechselten zum Militär. Die Abteilung in
Neu Tramm bildete den Rumpf für das neue Panzeraufklärungsbataillon 5,
welches am 1. Juli 1956 in Hemer, Nordrhein-Westfalen zusammentrat. Über
Fritzlar erreichte der Verband 1962 seinen Endstandort Sontra in Hessen.
Im Bundesgrenzschutz verbliebenes Personal wurde anschließend zusammengeführt.
Dadurch konnte die I./GSG 6 in Neu Tramm weiterhin bestehen. Als Grenzschutz-Abteilung
I/6 lag sie hier mit Abteilungsstab und 3 Hundertschaften, eine weitere
Hundertschaft war in Bodenteich stationiert,
ebenfalls einer ehemaligen Munitionsanstalt. Im Mai 1959 verlegten die
Einheiten aus Neu Tramm nach Lüneburg in die Lüner Kaserne.
Damit endete die Belegung der Kaserne Neu Tramm durch das regional zuständige
Grenzschutzkommando Nord. Der BGS nutzte die Liegenschaft jedoch weiter.
Das in Schleswig-Holstein beheimatete Grenzschutzkommando Küste brachte
hier seine GS-Ausbildungsabteilung 2 unter. Erst 1974 konnte im Kernland
des GSK Küste in Bredstedt eine neue Kaserne übernommen werden. Mit der
Verlegung der Abteilung endete in Neu Tramm die Präsenz des BGS. Lediglich
ein kleiner Grenzstreifenstützpunkt blieb hier bis 1990 erhalten.
Das Gebiet des Landkreises Lüchow-Dannenberg spielte in den
Verteidigungsplanungen der NATO nur eine untergeordnete Rolle. Östlich
vom Elbe-Seitenkanal sollte nicht verteidigt, sondern nur verzögert werden.
Garnisonen für Kampftruppen waren in diesem Bereich nicht sinnvoll. Dagegen
hatte der Landstrich, der eine deutliche Ausbuchtung der Innerdeutschen
Grenze in Richtung Osten darstellte, für das Militär andere Vorzüge.
Nördlich, östlich und südlich lag der Machtbereich des Warschauer Paktes,
darin zahlreiche Truppen der DDR und der Sowjetischen Armee. Somit bestanden
von hier besonders gute Voraussetzungen für die elektronische Aufklärung
des Gegners.
Die Bundesluftwaffe stellte bereits Ende der 1950er Jahre Verbände der
elektronischen Kampfführung (EloKa) auf. Als Einheit dieser Truppengattung
gab es am Standort Hambühren den
Fernmeldesektor B. Dieser betrieb ab 1959 mit mobilem Gerät temporäre
Einsatzstellungen, unter anderem an wechselnden Standorten im Landkreis
Lüchow-Dannenberg. Mitte der 1960er Jahre wurde für eine ortsfeste Aufklärung
der Bau von großen Türmen mit entsprechender Technik begonnen. Sie standen
mit relativ geringem Abstand entlang der Grenzen zur DDR und zur Tschechoslowakei.
Einen Turm errichtete man 18 km südöstlich von Neu Tramm auf dem Thurauer
Berg. Die Betriebsaufnahme erfolgte am 1. November 1967. Dieser Turm
sollte fortan vor allem vom FmSkt B genutzt werden.
Die Verlegung der Einheit nach Neu Tramm war nun sinnvoll. Im Juli 1967
traf hier das Vorkommando ein. Am 1. November des Folgejahres war der
Umzug komplett. In der Kaserne Neu Tramm blieb zunächst der Bundesgrenzschutz
der Hausherr. Nach dessen Abzug übernahm am 1.1.1974 die Bundeswehr diese
Rolle.
Bis Ende der 1980er Jahre kamen weitere Einheiten und Dienststellen der
elektronischen Aufklärung hinzu. Das waren ab 1. April 1974 die Fernmeldekompanie
945 mit einem Zug, und ab 1988 vom Heer die Fernmeldekompanie 1 (EloKa).
Schließlich gab es hier vom Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr die
Außenstelle Dannenberg der Fernmelde- und Radarstelle der Bundeswehr.
Ganz andere Aufgaben hatte die 12. Inspektion der Unteroffizierschule
der Luftwaffe, welche am 1.1.1989 in Neu Tramm aufgestellt wurde. Sie
führte die Ausbildung des Unteroffizier-Nachwuchses durch. Dazu konnte
nun auch das südliche Übungsgelände wieder intensiver genutzt werden.
Der Fall der Innerdeutschen Grenze Ende 1989 erbrachte schließlich das
Ende des Kalten Krieges. Damit waren viele bisherige militärische Strukturen
hinfällig. Als Folge sind im Jahr 1994 alle Einheiten in Neu Tramm aufgelöst
und das Personal versetzt worden. Am 30. September des Jahres wurde die
militärische Nutzung der Kaserne beendet und die Liegenschaft an das
Bundesvermögensamt übergeben.
Ab Mitte der 1970er Jahre war das Technische Hilfswerk in
Neu Tramm stationiert. Der Ortsverband Lüchow-Dannenberg nutzte die Halle
36 im Südteil der ehemaligen Muna zum Abstellen von Fahrzeugen und Gerät.
1997 wechselte der Ortsverband in die Liegenschaft des vormaligen EloKa-Turmes
auf dem Thurauer Berg.
Ab Ende 1975 wurden Feuerwehrfahrzeuge und -gerät vom Sektor-Angehörigen
Jochen Tarrach zusammengetragen. Daraus entstand ein Feuerwehrmuseum
mit ansehnlicher Sammlung. Zunächst im Verwaltungsbereich in Halle 14
untergebracht, wechselte man später in die ehemaligen Lagerhäuser 9 und
10 am Westrand des Geländes. Dieser Bereich ist aus der Umzäunung der
Kaserne separiert und ein eigener Zugang geschaffen worden. Heute bildet
es das „Historische Feuerwehrmuseum Dannenberg“.
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre erfolgte der Verkauf
der Liegenschaft Neu Tramm an einen Unternehmer aus der Umgebung. Das
Niedersächsische Innenministerium schloß einen langfristigen Mietvertrag.
Damit standen hier für die Polizei Fläche und Gebäude zur Verfügung.
Knapp 20 km östlich von Neu Tramm liegt das Atommüll-Lager Gorleben.
Zwischen 1995 und 2011 wurden Castor-Behälter mit hochradioaktivem Atommüll
dorthin gebracht. Während der diversen Transporte gab es große Demonstrationen
dagegen. Die Polizei richtete in der Kaserne Neu Tramm zu den Ereignissen
eine Einsatzzentrale ein. Später konnte die Liegenschaft auch als Stützpunkt
beim Einsatz der Hilfsorganisationen gegen das Hochwasser an Elbe und
Jeetzel dienen.
Der Mietvertrag mit dem Innenministerium ist 2017 ausgelaufen. Nun werden
Planungen für die zukünftige Nutzung der Anlage betrieben.
Zustand:
Der Nordteil der Liegenschaft zeigt noch heute zahlreiche Bauten aus
Zeiten der früheren Munitionsanstalt. Diese wurden über die Jahrzehnte
genutzt und zeigen sich bin in die Gegenwart in einem hervorragenden
Zustand. Dagegen sind im Süden von den Munitionsbunkern nur Erdwälle
erkennbar, von den zahlreichen Lagerhäusern zeugen meist gar keine
Spuren mehr.
Zugang:
Der südliche Teil der früheren Munitionsanstalt Karwitz ist als Naherholungsgebiet
frei zugänglich. Empfehlenswert ist ein Besuch des Feuerwehrmuseums,
das die beiden historischen Lagerhäuser 9 und 10 nutzt, in denen seinerzeit
an Reichenberg-Geräten gearbeitet worden ist. Die
ehemalige Kaserne im Norden ist komplett abgesperrt und nicht zugänglich.
Hinweis:
Weitere Seiten berichten über die Muna Karwitz:
http://www.damals-im-wendland.de/2006-Neu-Tramm.htm
Und:
https://www.manfred-bischoff.de/neutramm.htm
Sowie die Feldwebelvereinigung Dannenberg:
http://fwvdan.de
Die Homepage des Feuerwehrmuseums Dannenberg:
https://www.historisches-feuerwehrmuseum.de
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Blick
aus der Vogelperspektive mit Google Maps:
Fotos:
Die Haupteinfahrt zur Kaserne Neu Tramm mit dem zu BGS-Zeiten errichteten
Wachgebäude.
Die Kommandantur der Luft-Munitionsanstalt Karwitz.
Das große Wirtschaftsgebäude.
Gebäude 3 diente später als Lehrsaalgebäude.
Gebäude 94 wurde bis Kriegsende nicht fertiggestellt, das geschah erst
zu Zeiten des BGS.
Blick von der Rückseite.
Am Ostrand des Verwaltungsbereiches stehen historische Bauten außerhalb
der Kaserne.
Hier siedelte sich nach dem Krieg das Trikotagenwerk Schmitz an.
Das Fertigungsgebäude des Trikotagenwerkes.
Eine Werkstatt des Trikotagenwerkes.
Das frühere Pumpenhaus für die Wasserförderung.
Der Lokschuppen am Westrand der Liegenschaft.
Blick von der anderen Seite.
Das Lagerhaus 9 aus Muna-Zeiten.
Heute nutzt das Feuerwehrmuseum das LH 9.
Nach dem Krieg bekam es die neue Bezeichnung Halle 44.
Im LH 9 wurde seinerzeit an den Reichenberg-Geräten gearbeitet.
Blick auf ein Tor von der Innenseite.
Die interessante Dachkonstruktion.
In der Halle tragen massive Säulen das Dach.
Lagerhaus 10, heute als Halle 45 bezeichnet.
Auch LH 10 wird vom Feuerwehrmuseum genutzt.
LH 10 ist weitgehend baugleich, aber der Grundriß gespiegelt.
Historische Beschriftung.
Lagerhaus 40 war von wesentlich schlichterer Bauart.
In dem Bau wurden im Krieg Fi 103 montiert.
Ein weiterer Blick in die Halle.
Diese Ansicht ist heute nicht mehr möglich, die Vegetation verhüllt inzwischen
einiges.
Auf der Freifläche stand früher das Lagerhaus 31, heute gibt es davon
keine Spuren mehr.
Nur beim Lagerhaus 72 ist noch ein Betonpfeiler zu finden.
Dagegen blieben an den meisten Stellen von den Munitionshäusern Erdwälle
erhalten.
Ein weiteres Bild vom MH 66 läßt die drei Zugänge nur erahnen.
Die Erdwälle sind die Reste der früheren Erdüberdeckung.
Blick in das Innere vom MH 46.
Im MH 46 findet man spärliche Betontrümmer.
Hier ist eine isolierende Teerschicht zu sehen.
Beim MH 45 sind einige Backsteine zu finden.
Im Innenraum vom MH 65 ist der Bewuchs etwas lichter.
Auf diesem älteren Bild war die Vegetation noch nicht so üppig.
Weitere Betontrümmer im MH 62.
Eine weite Mulde im Südteil. Möglicherweise früher ein kleiner Sprengplatz.
Am Nordostrand blieb ein Feuerlöschteich erhalten.
Der Verlauf des früheren Außenzauns ist fast komplett nachvollziehbar,
der größte Teil der Zaunpfähle blieb stehen.
Im Nordosten liegt diese kleine Kriegsgräberstätte mit russischen Zwangsarbeitern.
Zu Zeiten des Bundesgrenzschutzes wurde diese Standortschießanlage errichtet.
Der Kugelfang.
Zugang zur Anzeigerdeckung am Kugelfang.
Rest des Handgranatenwurfstandes im südlichen Übungsgelände.
Dieses Gebäude bei der Schießanlage nutzte später das THW.
Blick von der anderen Seite.
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