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Rubrik: Luftabwehr Translation: English French Spanish Italian Dutch Danish Polish Russian
Die Hawk-FlaRak-Stellung Borstel (NL)
 Relikte des Kalten Krieges: 
Grundsätzliches über die Elemente und das Zusammenwirken im NATO-Luftverteidigungsgürtel ist auf der Themenseite nachzulesen.
Über Technik, Stellungen und Verbände des FlaRak-Systems Hawk berichtet eine weitere Seite.

Für den Standort einer Flugabwehrraketenstellung zwischen Nienburg und Neustadt am Rübenberge bot sich der Hüttenberg im Grinderwald an. Er ist mit 101 m die größte Erhebung in weitem Umkreis. Von dort konnten die Geräte einen optimalen Radar-Horizont nutzen. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre hat man das Vorhaben realisiert.
2 km nordöstlich liegt die kleine Ortschaft Borstel, ein Ortsteil von Neustadt am Rübenberge. Sie gab fortan der Liegenschaft den Namen. Der größte Teil des Objektes liegt im Kreisgebiet Region Hannover. Ein Streifen am Westrand gehört zum Landkreis Nienburg/Weser.
Die Stellung war über eine rund 2,7 km lange Zufahrtstraße von der Bundesstraße 6 erreichbar. Das Gelände befand sich in einem dicht bewachsenen Waldgebiet und lag weit abseits von Bebauung und Durchgangsstraßen. So war die Stellung selbst in den umgebenden Landkreisen vielen Menschen nicht bekannt.

Die gegnerische Seite ist über die Lage sämtlicher FlaRak-Stellungen informiert gewesen. Daher sollten die Hawk-Einheiten bereits in Spannungszeiten ihre Anlagen verlassen und vorerkundete Feldstellungen beziehen. Für jede Batterie waren bis zu fünf dieser Ausweichbereiche festgelegt. Alle Elemente des Systems Hawk sind mobil ausgelegt gewesen. Man war befähigt, innerhalb einer Stunde das Objekt zu verlassen.
Die ausgebauten Einsatzstellungen boten in Friedenszeiten einen zweckmäßigen Stützpunkt, aus dem schnell auf einen eventuellen Überraschungsangriff reagiert werden konnte.

Die FlaRak-Stellung Borstel wurde Heimat der 500. Squadron der niederländischen 5. Groep Geleide Wapens aus Stolzenau. Nach ersten Planungen sollte die 5. GGW in Nienburg stationiert werden. Dort konnte jedoch die benötigte Fläche nicht zeitig genug bereitgestellt werden. Der Verband ist als letzte Hawk-GGW am 1. September 1966 durch Abgaben der 3. und 4. GGW aufgestellt worden. Im Jahre 1967 konnte die 500. Sqn das Objekt in Borstel beziehen.

Die Stellung Borstel lag im Sektor 60 des Flugabwehrraketengürtels der NATO. Sie befand sich darin auf der nordöstlichen Position. Somit gehörte sie zur 1st Row. Das ist die Linie, die der potentielle Angreifer aus dem Osten als erstes erreichen würde.
Die südliche Nachbar-Stellung war gut 16 km südwestlich gelegen in Winzlar, am Westrand des Steinhuder Meeres, belegt mit der 501. Sqn. Westlicher Nachbar hätte die Stellung Steyerberg werden sollen, in gut 24 km Entfernung. Sie wurde allerdings zwar aufgebaut, aber nicht bezogen. Der nördliche Nachbar befand sich im anschließenden Sektor 61. Es war die 2. Batterie des Flugabwehrraketenbataillons 35 der deutschen Luftwaffe in Lichtenmoor, knapp 15 km entfernt.
Die Einsätze eines Verbandes koordinierte das Battailon Operation Center (BOC). Hier gab es eine von der Bundeswehr abweichende Konzeption. Das Objekt nannte die Niederländische Luftwaffe Groeps Operatiën Centrum (GOC). Während die Bundeswehr das BOC stets in einer FlaRakStlg zusammen mit einer FlaRak-Batterie unterbrachte, siedelten die Niederländer das GOC in der Kaserne des Bataillons an. Dadurch befand sich das GOC des Sektors 60 in Stolzenau, 22 km westlich gelegen.

Die FlaRak-Stellung Borstel dehnte sich über gut 10 ha aus. Zahlreiche Komponenten einer Hawk-Stellung waren durch NATO-Standards geregelt. Sie sind von allen am Luftverteidigungsgürtel beteiligten Nationen umgesetzt worden. Daher lassen sich in der niederländischen Stellung Borstel diverse Elemente finden, die auch in deutschen Objekten in weitgehend gleicher Form anzutreffen waren.
Größter Bau ist das Bereitschaftsgebäude gewesen, in der westlichen Hälfte gelegen. 70 m weiter westlich stand das Raketenmontagegebäude. Anfangs befand sich der Standplatz für die auf Fahrzeuge verlasteten Komponenten des Gefechtsstandes direkt neben dem Bereitschaftsgebäude. Später wurde dieser neben das Raketenmontagegebäude verlegt.
80 m südlich konnte man ein kleines Generatorengebäude finden. Hinter diesem wurden die Erdwälle aufgeschüttet, auf denen vier Radargeräte ihren Stellplatz bekamen. Sie waren erforderlich, damit das Radar über den umgebenden dichtbestandenen Wald wirken konnte. Asphaltierte Straßen führten hinauf.
Auf der nordwestlichen Position stand das gut 100 km weit reichende Rundsuchradar „Pulse Acquisition Radar“ (PAR). Die südwestliche Position belegte das Entfernungsmeßradar „Range Only Radar“ (ROR). Auf dem nördlichen Standplatz war das Rundsuchradar mit 65 km Reichweite zur Erfassung von Tieffliegern „Continuous Wave Acquisition Radar“ (CWAR). Und schließlich südöstlich das Ziel-Beleuchtungsradar „High Powered Illuminator Radar“ (HPIR) der Sektion Bravo. Fünftes Radargerät war das HPIR der Sektion Alpha. Für dieses hatte man 70 m östlich des Bereitschaftsgebäudes einen separaten Erdwall aufgeschüttet.

In der östlichen Hälfte der Liegenschaft standen die insgesamt sechs Startgeräte mit jeweils drei Raketen. Sie waren in zwei Gruppen zu je drei Abschußplattformen aufgeteilt. Nördlich war es die Sektion Alpha, südlich Sektion Bravo. Gesteuert wurden die Abschußgestelle von einem kleinen Bedienungsleitstand pro Sektion. Jede Gruppe verfügte in ihrem Rücken über ein Generatorengebäude, in dem die zugehörigen auf Anhänger verlasteten Stromerzeuger wettergeschützt untergestellt waren. Außerdem gab es je Sektion einen Raketenlagerplatz zur Bevorratung weiterer Flugkörper.

Weitere Elemente ergänzten das Objekt. Am Westrand gab es eine größere befestigte Freifläche. Auf ihr wurden Fahrzeuge geparkt. Außerdem stellte man hier die für niederländische Stellungen typischen Rundbogenhallen in Wellblechbauweise auf, englisch bezeichnet als „Romney Hut“. Sie dienten als Lager für Material. Auch die bis in die 1980er Jahre eingesetzten Flugabwehrkanonen hatten darin ihren Stellplatz. Die Geschütze im Kaliber 40 mm des Herstellers Bofors dienten zur Nahbereichsverteidigung. Ebenso kamen die Verladefahrzeuge (Loader) in den Hallen unter.
Vor dem Tor befand sich eine Trafo-Station für die Versorgung aus dem öffentlichen Stromnetz. Direkt hinter der Einfahrt stand ein kleines Postenhäuschen. Gegenüber vom Bereitschaftsgebäude war ein erdüberdeckter Schutzbunker in Röhren-Bauweise zu finden.

Während in deutschen Hawk-Stellungen in den 1980er Jahren mehrere Ausbauten zur Härtung der Anlagen durchgeführt wurden, beließen es die Niederländer weitgehend auf dem ursprünglichen Stand. So ergaben sich weitere erkennbare Unterschiede in der Infrastruktur beider Nationen.
Somit waren in Borstel keine Betonwände zur Abschirmung von Bereitschaftsgebäude, Gefechtsstand und Raketenlagerplätzen zu finden. Auch ein größeres Gebäude für eine zivile Wache gab es hier nicht.
Dafür war in niederländischen Hawk-Stellungen eine Besonderheit zu finden, die in deutschen Stellungen nicht existierte. Die Niederländer ersetzten Mitte der 1980er Jahren ihr Waffensystem zur Nahbereichsverteidigung. Statt der Flugabwehrkanonen verwendete man nun tragbare Stinger-Raketen. Je Squadron gab es drei Teams mit je 11 dieser von der Schulter abgefeuerten kleinen Flugabwehrraketen. Zur Aufbewahrung der Waffen wurde ein massives erdüberdecktes Munitionslagerhaus direkt neben dem Raketenlagerplatz der Sektion Bravo errichtet.

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre startete die Niederländische Luftwaffe die Einführung des FlaRak-Systems Patriot. Auch hierbei verfolgte man ein anderes Konzept, als in der Deutschen Luftwaffe. Hintergrund waren Einsparungsmaßnahmen.
Deutschland ersetzte mit Patriot das veraltete System Nike. Dagegen schafften die Niederlande Nike ersatzlos ab. Statt dessen wurde die Hälfte der Hawk-Squadrons auf Patriot umgerüstet. Bei diesem Systemwechsel blieb es für die Einheiten in der 1st Row, und somit auch in Borstel, jedoch bei der Hawk.

Nach Ende des Kalten Krieges entfiel der Sinn des bisherigen, auf Westdeutschland ausgerichteten Flugabwehrgürtels. Damit kam auch das Ende der Stationierung niederländischer Luftabwehrtruppen in Deutschland. Wie für die Bundeswehr, folgten nun auch für die Niederländer einige Umstellungen.
Die 500. Sqn wurde am 1. Juli 1994 mit der 326. Sqn aus Blomberg (NRW) vereinigt. Diese Squadron hatte ihre Einsatzstellung bislang auf dem Berg Velmerstot bei Horn-Bad Meinberg in Nordrhein-Westfalen. Sie war seit 1990 mit dem FlaRak-System Patriot ausgerüstet. Durch die Zusammenlegung der beiden Einheiten entstand die 801. Sqn. Die mit zwei verschiedenen Systemen plus Stinger ausgerüsteten Einheiten bezeichnete man als Triad-Squadrons. Zeitgleich mit der Fusion verlegte die 801. Squadron zurück in die Niederlande nach De Peel.

Mit dem Abzug der Niederländer wurde im Juli 1994 auch die Stellung Borstel aufgegeben. Nur die massive Infrastruktur blieb stehen, den Rest hat man fortgeschafft. So verschwanden seinerzeit schon die Rundbogenhallen und weitere Feldhäuser. Eine Nachnutzung folgte nicht, dadurch verfiel die Anlage langsam. Die Vegetation überwucherte allmählich die vorher überwiegend gering bewachsene Anlage. Die Liegenschaft ist über viele Jahre als „Abenteuerspielplatz“ mißbraucht worden. Durch den sich daraus ergebenden Vandalismus nahmen fast alle Teile der Stellung enormen Schaden.
Im Jahre 2006 begann zwischen Nienburg und Neustadt der vierspurige Ausbau der Bundesstraße 6. Als Ausgleichsfläche wurde die ehemalige FlaRak-Stellung Borstel ausgewählt. So folgte im Rahmen des Straßenbaus der Abriß der verbliebenen Infrastruktur und die Renaturierung des Geländes.

 Zustand: 
Nach der Renaturierung des Objektes sind bauliche Reste nicht mehr zu finden. Lediglich die künstlich aufgeschütteten Radarwälle und einige entfestigte Wegeführungen lassen sich von Ortskundigen lokalisieren.

 Zugang: 
Das Gelände der ehemaligen FlaRak-Stellung ist zugänglich.

 Hinweis: 
Dieses Buch stellt die Niederländischen Groepen Geleide Wapens in Deutschland detailliert vor:
Titel: Blazing Skies Niederländisch
Autor: Rinus Nederlof
Verlag: Sdu Uitgevers, Den Haag
ISBN: 90-12-09678-2

Blick aus der Vogelperspektive mit Google Maps:
Google Maps

Fotos:

Einfahrt
Die Einfahrt zur FlaRak-Stellung Borstel.

Einfahrt
Gleiche Perspektive nach der Renaturierung.

Postenhäuschen
Hinter dem Tor ein kleines Postenhäuschen.

Bereitschaftsgebäude
Das Bereitschaftsgebäude der 500. Sqn enthielt Büros, Kantine, Sanitär- und Ruheräume.

Bereitschaftsgebäude
Blick von der anderen Seite.

Bereitschaftsgebäude
Flur im Bereitschaftsgebäude.

Öltank
Neben dem Bau gab es einen Öltank.

Raketenmontagegebäude
Links der Standplatz für die Fahrzeuge des Batterie-Gefechtsstandes, rechts das Raketenmontagegebäude.

Raketenmontagegebäude
Im Raketenmontagegebäude, dem Missile Assembly Building.

Röhrenbunker
Der Zugang zum Röhrenbunker war am Ende völlig zugewachsen.

Radarwall
Auffahrt auf den Radarwall. Der Weg verzweigt zu den Standplätzen der einzelnen Geräte.

HPIR B
Standplatz des HPIR der Sektion Bravo.

PAR
Hier der Platz des PAR.

Radarwall
Der Radarwall erreichte eine beachtliche Höhe.

HPIR A
Für das HPIR der Sektion Alpha gab es einen separaten Wall.

Generatorengebäude
In diesem Generatorengebäude waren Stromerzeuger abgestellt, welche die Radargeräte versorgen konnten.

Generatorengebäude
Blick auf die Rückseite des gleichen Baus.

Unterverteilung
Hütte für die Unterverteilung der Energie- und Nachrichtenleitungen.

Abschußplattform
Eine von sechs Abschußplattformen. Hier stand ein Abschußgestell mit drei Flugkörpern, geschützt durch einen aufklappbaren Wetterschutz.
Kabelschächte
Zu den Abschußplattformen führten Kabelschächte mit Stahldeckeln.
Generatorengebäude
Das Generatorengebäude Typ II der Sektion Alpha.
Generatorengebäude
Das baugleiche Exemplar für die Sektion Bravo.
Raketenlagerplatz
Der Raketenlagerplatz hinter der Sektion Alpha.
Raketenlagerplatz
Raketenlagerplatz Bravo.
Munitionslagerhaus
Das Munitionslagerhaus zur Deponierung der Stinger-Flugabwehrraketen für die Nahbereichsverteidigung.
Munitionslagerhaus
Der Bau hatte eine Lagerkapazität von 1.000 kg Explosivmitteln.
Innenansicht
Innenansicht.
Freifläche
Im westlichen Bereich befand sich diese große Freifläche.
Lagerschuppen
Am Nordrand der Freifläche schloß sich ein Bereich mit Lagerschuppen an.
Standplatz
Standplatz einer kleineren Rundbogenhalle.
Standplatz
Standplatz einer größeren Rundbogenhalle.
Verladerampe
Über diese Verladerampe konnten Geräte auf LKW und Anhänger gerollt werden.
Trafostation
Unmittelbar vor dem Tor stand eine Trafostation, über die die Anlage aus dem öffentlichen Stromnetz versorgt wurde.

Karte
Maßstab

Quellenangabe:
- Rinus Nederlof: Blazing Skies
- https://www.grondgebondenluchtverdediging.nl
 
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