Bis
1945:
Obwohl die Ortschaft Mariensiel nicht zu Wilhelmshaven sondern zu Sande
gehört, wurde die hiesige Militärische Liegenschaft meist als Wilhelmshaven-Mariensiel
bezeichnet. Leider sind über die lange Zeit der Nutzung nur wenig Fakten
zu finden.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete die Kaiserliche Marine
hier das „Marine Artillerie Depot Wilhelmshaven-Mariensiel“. Im unmittelbaren
Einzugsbereich des wichtigsten deutschen Kriegshafens wurde die Kapazität
zur Fertigung und Einlagerung von Munition für die Schiffsgeschütze geschaffen.
Auf rund 100 ha Fläche
entstanden zahlreiche Gebäude für die verschiedenen Aufgaben der Munitionsfertigung
und -lagerung. Am Ostrand befanden sich das Haupttor und die Verwaltung.
Hier sind auch heute noch einzelne Bauten aus der Gründungszeit zu finden.
Daran schloß sich der Fertigungsbereich mit Arbeitshäusern und Lagergebäuden
an. Die gesamte Anlage durchzog ein dichtes Gleisnetz, mit dem alle Bauten
erschlossen wurden. Bis zum Ende des I. Weltkrieges scheint der Betrieb
in der Anlage weitgehend ungestört abgelaufen zu sein.
Nach Kriegsende begann im Depot eine neue Nutzung. Die „Gesellschaft zur Verwertung
von Heeresgut“ richtete hier einen Standort zur Delaborierung von Munition
ein. Auf einem Brandplatz wurde das Pulver vernichtet. In diesem Betrieb
ereigneten sich zwei schwere Explosionsunglücke mit diversen Toten und
Verletzten. Heute erinnert ein Gedenkstein gegenüber der historischen
Hülsenwerkstatt an die Opfer vom 16.12.1919 und 8.9.1920. Im Jahre 1921
endete diese Nutzungsphase. Vermutlich lag die Liegenschaft danach Brach.
1933 übernahm erneut die Marine die Anlage, um hier das „Marine-Artillerie-Zeugamt
Wilhelmshaven-Mariensiel“ einzurichten. Die Aufgabe war wiederum die
Fertigung und Einlagerung von Munition für Schiffsgeschütze. Nun wurden
im Westen des Areals zahlreiche Gebäude neu errichtet, die meisten heute
noch erhaltenen Bauten stammen aus dieser Zeit. Die Erweiterungsmaßnahmen
hielten bis in den II. Weltkrieg an. Während des Krieges ist über das
Depot auch der Munitionsnachschub für die Marineflak mit ihren zahlreichen
Stellungen im Großraum Wilhelmshaven gedeckt worden.
Die Dienststelle in Wilhelmshaven-Mariensiel erhielt 1936 den Auftrag,
eine Nebenstelle einzurichten, das „Marine-Artillerie-Zeugamt
Aurich-Tannenhausen“. Dieses wurde 1941 selbständig. Später folgte eine Umbenennung der Zeugämter
in Arsenale.
Über den Einsatz von Fremd- und Zwangsarbeitern gibt es keine direkten
Angaben. Es ist aber davon auszugehen, daß sie im Arsenal beschäftigt
wurden. In Wilhelmshaven und Sande existierten diverse entsprechende
Arbeitslager, darunter auch das „Fremdarbeiterlager Mariensiel“, in dem
ca. 1.000 Arbeiter aus der Sowjetunion unter schlechtesten Bedingungen
untergebracht waren.
Während abseits liegende Depots, wie das in Tannenhausen, kaum durch
Luftangriffe bedroht waren, bestand für Mariensiel eine ständige immense
Gefahr. Der alliierten Aufklärung war die Funktion der Anlage natürlich
schnell bekannt. Durch die unmittelbare Nähe zu den Hafenanlagen war
das Depot bei den Bombardierungen des Kriegshafens stets bedroht und
wurde mehrfach beschädigt.
Ein besonders großer Schaden entstand in der Nacht vom 11. auf den 12.
Februar 1943. Bei einem Angriff durch die Royal Air Force kam es zu einem
oder mehreren Volltreffern auf Munitionslager innerhalb des Arsenals.
Da die Sicherheitsabstände zwischen den Lagerhäusern zu gering und die
Schutzmaßnahmen der Bauten zu schwach war, kam es zu einer Kettenreaktion.
Stundenlang explodierten Granaten und Pulver. Fast die Hälfte der Fläche
des Depots wurde sehr stark beschädigt, 32 Gebäude sind völlig vernichtet
worden. Der Luftdruck war so stark, das noch in mehreren Kilometern Entfernung
Fenster zu Bruch gingen und Dächer abgedeckt wurden.
In der Folgezeit konnte der Depotbetrieb natürlich nur noch sehr eingeschränkt
fortgeführt werden. Für den Bedarf der Marineflak wurde nun ein provisorisches
Lager bei Schortens angelegt. Der II. Weltkrieg endete für Wilhelmshaven-Mariensiel
mit dem Einmarsch kanadischer und polnischer Einheiten am 6. Mai 1945.
Ab 1945:
In den erhaltenen Gebäuden des Arsenals kamen nach dem Krieg Ausgebombte
und Flüchtlinge unter. Es konnten sich verschiedene gewerbliche Betriebe
auf dem Gelände ansiedeln. Nach Aufstellung der Bundeswehr wurde Wilhelmshaven
wieder zum wichtigsten Standort der Marine. Diverse Einrichtungen in
der Stadt wurden nun wieder vom Militär übernommen, so auch ein Teil
des ehemaligen Artilleriearsenals. Da der Standort sich nach modernen
Gesichtspunkt nicht für ein Munitionslager eignete, wurde nun ein Materiallager
aufgebaut.
Am 15. Juli 1957 ist das „Marinematerialdepot Wilhelmshaven-Mariensiel“
offiziell eingerichtet worden. Die Bundeswehr übernahm diverse Gebäude
im Westbereich des früheren Arsenals, die nun für die neue Aufgabe umgebaut
und ergänzt wurden. Das MMatDp sorgt für die Bevorratung von Ersatzteilen,
Waffen und Verbrauchsgütern für alle Einheiten und Waffensysteme der
Bundesmarine. Die Wilhelmshavener Dienststelle leitet auch ein Außenlager
in der ehemaligen U-Boot-Bunkerwerft
„Valentin“ in Bremen Farge. Mit der Einführung eines Numerierungssystems in der Marine
erhielt das Depot 1968 die Bezeichnung Marinematerialdepot 2. Im Jahre
1991 wurde ein neuer moderner Depotstandort beim Marinestützpunkt Wilhelmshaven-Heppenser
Groden fertiggestellt. Daraufhin ist die Einrichtung in Wilhelmshaven-Mariensiel
aufgegeben worden.
Heute gibt es keine militärische Nutzung des hiesigen Geländes mehr.
Die freigezogenen Bereiche wurden von verschiedenen Betrieben übernommen.
Das Gebiet des ehemaligen Marineartilleriearsenals läuft nun unter dem
Namen „Industriegelände West“.
Zustand:
Im Osten der Anlage sind einzelnen Bauwerke aus der Anfangszeit zu finden,
darunter die sehr sehenswert restaurierte Hülsenwerkstatt von 1905.
Im Westen sind zahlreiche Gebäude aus den 1930er Jahre anzutreffen.
Der Bereich dazwischen ist 1943 völlig zerstört worden, heute ist dieses
Gebiet wegen der Munitionsbelastung eingezäunt und nicht zugänglich.
Zugang:
Weite Bereiche des früheren Marineartilleriearsenals können heute betreten
bzw. eingesehen werden. Es
bleiben aber verschiedene Teile weiterhin gesperrt. |
Blick
aus der Vogelperspektive mit Google Maps:
Fotos:
Die Hülsenwerkstatt aus der Kaiserzeit in hervorragendem Zustand
Aufschrift:
1905
Historisches Gebäude
Hülsenwerkstatt
Ein weiterer Bau aus den Anfangstagen hinter dem ehemaligen Haupttor
Im Ostbereich steht dieses historische Arbeitshaus
Dieses Verwaltungsgebäude aus den 1930er Jahren hat eine betonierte Stellung
für leichte Flak oder Luftraumbeobachtung auf dem Dach
Auch auf diesem Magazingebäude befindet sich ein Sockel
Einer der größeren Bauten aus den 1930er Jahren
Auch kleine Betriebsgebäude sind zu finden
Unmittelbar am Ems-Jade-Kanal befinden sich Lagerschuppen für den Umschlag
vom Depot direkt auf Frachtkähne
Einer von zwei gesprengten großen Rundbunkern für das Personal des Arsenals
Reste eines Bunkers im Südbereich |