Rubrik: Luftabwehr | Translation: |
Die Nike-FlaRak-Stellung Ristedt |
Relikte
des Kalten Krieges: Grundsätzliches über die Elemente und das Zusammenwirken im NATO-Luftverteidigungsgürtel ist auf der Themenseite nachzulesen. Über die Entwicklung des FlaRak-Systems Nike sowie dessen Verbände und Stellungen berichtet eine weitere Seite. Die FlaRak-Stellung, über die auf dieser Seite berichtet wird, lief unter der offiziellen Ortsangabe Ristedt. Für das System Nike mußten stets zwei räumlich getrennte Objekte errichtet werden: Der Feuerleitbereich und der Abschußbereich. Letzterer wurde in diesem Fall 1 km südlich des Ristedter Ortsteils Sörhausen aufgebaut. Der Feuerleitbereich befand sich direkt nördlich von Leerßen, einem Ortsteil von Gessel. Ristedt und Gessel gehören zur Stadt Syke, deren Ortsmitte rund 4 km südöstlich der Stellung liegt. Der Aufbau des Nike-FlaRak-Gürtels zog sich über viele Jahre
hin. Erste permanente Einsatzstellungen wurden bereits 1961 bezogen,
die letzten konnten jedoch erst 1973 ihren Betrieb aufnehmen. Zur Überbrückung
des langen Zeitraums hatte die Bundesluftwaffe in Niedersachsen auf sechs
Militärflugplätzen temporäre Stellungen eingerichtet. Die Ristedter Batterie nutzte zuvor ein solches Objekt auf dem
ehemaligen Fliegerhorst Delmenhorst-Adelheide. Die Stellung Ristedt war die vorletzte Nike-Stellung in Niedersachsen, die
von der Bundeswehr bezogen wurde. Die Planungen zur Einrichtung der Objekte begannen bereits
in der ersten Hälfte der 1960er Jahre. 1964 erfolgten Baugrunduntersuchungen.
Für den Feuerleitbereich galt das Gelände um den „Hohen Berg“ als gesetzt.
Für den Abschußbereich hatte man zunächst eine Fläche nördlich zwischen
Ristedt und Melchiorshausen anvisiert. Realisiert wurde er später jedoch
über 4 km weiter südlich. Sogar eine Kaserne war am Südwestrand von Syke
geplant, der Bau erfolgte jedoch nicht. Die Stellung Ristedt wurde im Frühjahr 1973 bezugsfertig. Vom 15. bis 19. März verlegte die 4. Batterie des FlaRakBtl 24 von der provisorischen Stellung Adelheide hierher. Unterkunft der Einheit war die Caspari-Kaserne in Delmenhorst-Deichhorst. Das Personal pendelte zwischen Delmenhorst und Syke, rund 25 Straßenkilometer. Die Stellung ist während des Bereitschaftsdienstes im Schichtbetrieb rund um die Uhr mit größerer Mannschaftsstärke besetzt gewesen. Eine sehr kleine dauerhafte Garnison gab es in Syke-Leerßen
auch. Unmittelbar vor dem Tor des Feuerleitbereichs stand das Unterkunftsgebäude
des Delta-Teams vom 51st US Army Artillery Detachment (USAAD). Dieses
Team bestand aus rund 30 US-Soldaten. Sie hatten die Schlüsselgewalt
über die im Abschußbereich vorhandenen Atomsprengköpfe der Nike-Hercules.
Die auch als Custodial-Team bezeichnete Truppe nahm offiziell am 1. Januar
1974 ihren Dienst in Ristedt auf. Zeit des Bestehens der Stellung Ristedt ergaben sich immer wieder Änderungen der Systeme und Anlagen, die teilweise auch Veränderungen in der Infrastruktur nach sich zogen. Ein Beispiel dafür ist der Zulauf von Maschinenkanonen 20 mm Zwilling im Dezember 1975, die für die Verteidigung im Nahbereich vorgesehen waren. Für sie mußten in Feuerleit- und Abschußbereich Abstellhallen errichtet werden. Bedeutende Maßnahmen zog ab 1982 das „Long Range Security Program“ (LRSP) nach sich, mit dem die Sicherheitsbestimmungen für mit Atomwaffen bestückte Einrichtungen weiter verschärft wurden. Neben den Ausbauten in der Launching Area wurde die Personalstärke der Batterie 1984 auf über 450 Soldaten erhöht. Zu den einzelnen Teilen der Stellungsbereiche: Herzstück aus technischer Sicht war das Verbindungsgebäude. An diesen Bau über Schleusen angedockt standen die anfangs vier einzelnen Anhänger mit Kabinenaufbau, in denen die Elektronik des Systems installiert war. Die Fahrzeuge waren: Kampfführungsanlage, Radarleitstand, Feuerleitstand und ein Werkstattanhänger. Ein Fernmeldeverbindungswagen befand sich gleich daneben. Das „Auge“ der Stellungen sind die diversen Radargeräte gewesen.
Um ungehinderte Rundumsicht zu haben, wurde ein Erdwall aufgeschüttet,
mit dem die Stellfläche auf 63 m über Meeresspiegel gebracht wurde. Darauf
standen auf befestigten Plattformen fest verzurrt die Anhänger mit den
Geräten. In Ristedt waren es von Nord nach Süd: Zielfolgeradar „Target
Tracking Radar“ (TTR), Zielentfernungsradar „Target Ranging Radar“ (TRR),
Rundsuchradar „Low-Power Acquisition Radar“ (LOPAR) mit 230 km Reichweite,
und das Raketenführungsradar „Missile Tracking Radar“ (MTR). Auf einem
separaten Podest neben dem Wall stand außerdem noch das IFF/SIF-Gerät
zur Freund-/Feind-Identifizierung. Zur Abstimmung der Radargeräte wurde
am Westrand des Geländes ein Radarprüfmast aufgestellt. Für das Personal stand ein Bereitschaftsgebäude zur Verfügung.
Hierin befanden sich Aufenthalts- und Ruheräume sowie eine Kantine. Auch
das Wachlokal fand dort Platz. Ein großes Generatorengebäude bot wettergeschützte
Unterstellmöglichkeiten für die Stromerzeugungsaggregate. Nach Aufstellen
der HIPAR-Technik mußte ein weiteres kleines Generatorengebäude errichtet
werden. Für die Versorgung aus dem öffentlichen Stromnetz befand sich
eine Transformatorenstation in der Stellung. Abschußbereich / Launching Area (LA): Im vorderen, östlichen Teil der LA standen das Bereitschaftsgebäude und eine Halle für vier 20 mm-Maschinenkanonen. Gleich anschließend folgte der Bereich für die technische Betreuung der Raketen, die Assembly Area. Hier wurden das Raketenmontagegebäude und ein Generatorengebäude errichtet. Dazu kam die Lenkgeschoß-Montagehalle, sie war mit Erdwällen zum Explosionsschutz abgeschirmt. Für die Raketen gab es, wie in allen deutschen Stellungen
üblich, drei Abschuß-Sektionen. In Ristedt sind diese aufgeteilt worden.
Die südlichen Sektionen Alpha und Bravo befanden sich in der separat
abgezäunten und besonders gesicherten Secure Area. Der Zugang hierzu
konnte nur durch eine weitere Torkontrolle erfolgen, die mit US-Soldaten
des Custodial-Teams besetzt war. In diesen beiden Sektionen waren neben
den konventionellen auch Atomsprengköpfe auf den Raketen montiert. Die
nördliche Sektion Charlie war dagegen ausschließlich mit konventionellen
Sprengköpfen ausgestattet, sie lag außerhalb der Secure Area. Die Secure Area war separat abgezäunt. Deren Einlaßkontrolle führte das US-Personal durch. Am Zaun standen in der ersten Zeit in den Ecken fünf hölzerne Wachtürme. Anfang der 1980er Jahre wurden die Bestimmungen mit dem LRSP verschärft. Dieses zog nach sich, daß ein neues Wachgebäude errichtet werden mußte. Es war in massiver Betonbauweise ausgeführt, gasdicht abgeschottet und klimatisiert. Die hölzernen Türme wurden durch zwei stählerne ersetzt. Auch die Zäune hatte man modernisiert, sie bekamen Bewegungsmelder und Blendscheinwerfer. Im November 1984 konnten die neuen Sicherheitseinrichtungen vollendet werden. In den 1980er Jahren neigte sich die Nike-Ära langsam dem Ende zu. In der Chronik des FlaRakBtl 24 häuften sich in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts „letzte Ereignisse“. Die Denuklearisierung des Systems war bereits vor einiger Zeit beschlossen worden. Im Juni 1987 fand die letzte Sicherheitsinspektion für Atomwaffen statt, die „Nuclear Weapon Technical Inspection“ (NWTI). Der Abzug der zu dem Zeitpunkt zehn vorhandenen nuklearen Sprengköpfe erfolgte am 24. Mai des nächsten Jahres. Die 4./24 war die letzte Einheit des Bataillons, die denuklearisiert worden ist. Damit konnte nun auch die Anwesenheit des US-Teams beendet werden. Im Juni 1988 fand deren Verabschiedung statt. Im April 1988 war die 4. Batterie zum letzten Mal für ein
Jahresschießen auf dem NATO-Raketenschießplatz NAMFI auf Kreta. Am 30.
Juni 1989 löste man das Bataillon aus dem Luftverteidigungsauftrag heraus.
Die Umrüstung auf das Nachfolgesystem Patriot stand nun unmittelbar bevor.
Im September 1989 ist die 4./FlaRakBtl 24 aufgelöst worden. Das in Ristedt
vorhandene komplette System Nike wurde demontiert und an den NATO-Partner
Türkei übergeben, welcher die Nike weiterhin nutzen wollte. Die Stellung Ristedt wurde nach dem Abzug der Nike noch einige
Zeit für Übungen mit dem voll mobilen System Patriot genutzt, hauptsächlich
durch die 5. und 6. Staffel des FlaRakG 25. Zu Veränderungen an der Infrastruktur
kam es dafür jedoch nicht mehr. Ristedt ist im Jahre 1994 endgültig aufgegeben
worden. Zustand: Zugang: Hinweis: |
Blick
aus der Vogelperspektive mit Google Maps: IFC: Fotos:
Abschußbereich / Launching Area:
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Im Erdwall der Sektion ein Schutzbunker zur Unterbringung des Launching Section Selector. |
Jede Sektion verfügte über einen eigenen Schuppen für Generatoren und Heizung. |
Die Lenkgeschoß-Lagerhalle der Sektion Alpha. |
Hier die Lagerhalle der Sektion Bravo. Alpha und Bravo waren bis 1988 mit Atomwaffen bestückt. |
Das alte Guard Building des US-Custodial-Teams vor dem Tor zur Secure Area. |
Ab 1984 waren die Einlaßkontrolle und das Wachpersonal in diesem massiven Gebäude untergebracht. |
Rechts vom Gebäude die Schleuse zur Secure Area. |
Ein näherer Blick auf den Schleusenbereich. |
Zwei Stahltürme wurden in den 1980er Jahren mit dem LRSP errichtet. |
Ein Doppelzaun mit Blendscheinwerfern sicherte die Secure Area. |
Unterkunft des USAAD-Teams: | ||||
Die Unterkunft des Delta-Team/51st USAAD lag unmittelbar vor dem Tor der IFC. |
Blick vom Süden auf das Fahrzeugtor. |
Hier das Personentor. |
Ein Feldhaus ergänzte die „Miniatur-Kaserne“. |
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Bilder des Abschußbereichs / Launching Area zu Zeiten der aktiven Nutzung aus dem Jahr 1986: | ||||
Mittig steht der Anhänger Launch Control Trailer (LCT). |
Er wurde beidseitig mit überzähligen Raketen-Transportcontainern abgeschirmt. |
Im LCT, rechts die Launching Control Console (LCC). |
Hier das Switchboard des LCT. |
Schuppen an der Zufahrt zum Warhead-Building. |
Blick vom zentralen Wachturm auf die nuklear bestückte Sektion Alpha. |
Auffallend sind an der vorderen Rakete zwei demontierte Leitwerke. |
Ebenfalls vom großen Wachturm geht hier der Blick auf die Sektion Bravo. |
Eine Ausschnittsvergrößerung des vorigen Bildes. |
In der konventionell bestückten Sektion Charlie. |
Blick aus der Lenkgeschoß-Lagerhalle. |
Davor die Abschußplattform. |
Der Gesamtbestand an Nike Hercules-Raketen wurde aus der Halle geschoben. |
Die Startstufe verfügte über ein vierfach-Raketentriebwerk. |
Arbeiten an einem Flugkörper. |
Nike Hercules liegend und aufgerichtet. |
Die Rakete war 12,5 m lang. |
Der Launch-Bunker steht unmittelbar neben der Abschußplattform. |
Blick aus dem Launch-Bunker auf eine Rakete. |
Im Bunker der Launching Section Selector. |
Blick vom zentralen Wachturm auf das alte US-Guard Building. |
Das neuere massive Wachgebäude der Secure Area. |
Am Westrand ein kleinerer Wachturm. |
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Quellenangabe: - Wilhelm von Spreckelsen, Wolf-Jochen Vesper: Blazing Skies - Rinus Nederlof: Blazing Skies - Karl-Anweiler: Fahrzeugtypenkatalog der Bundeswehr - Nike-Ajax / Nike-Hercules - R. Goerigk: http://www.nikesystem.de/Pages/Deutschland/d_Syke/d_nike_syke.htm - Chronik des Flugabwehrraketenbataillon 24 / Flugabwehrraketengruppe 24 - The Nike Historical Society: https://nikemissile.org - Ed Thelen: https://www.ed-thelen.org - Stephan Neitzel / Systemtechnik Weser-Ems |
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